Egotrip gegeißelt: „Befreiung im Singular“

■ Die frauenkritische Theoretikerin der Frauenbewegung, Christina Thürmer-Rohr, als Gaststar auf der Bremer Frauenwoche

Frauenwoche - das ist immer auch Gelegenheit, auswärtige feministische Größen aus der Nähe zu begucken. Nachdem zwei der diesjährigen Prominenten aber abgesagt hatten - Maria Mies (Köln) und Viktoria Bennholdt-Thomsen (Bielefeld) bekam

Christina Thürmer-Rohr, Hochschullehrerin in Berlin, schon für ihr bloßes Kommen freudigen Sonderbeifall. Sie hatte sich einen Namen gemacht, weil sie Frauen endgültig den Opferstatus abgesprochen und der „Mittäterschaft“ überführt hatte. Das Re

ferat, das sie den BremerInnen gestern mitgebracht hatte, versprach wieder Ketzerisches, ausgesprochen Frauenkritisches: „Befreiung im Singular - zum Egozentrismus von Frauen“.

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Frau am Mikro

Prof. Christina Thürmer-Rohr Foto: Elisabeth Rod

Und tatsächlich: Die Referentin begann sofort den Stachel wider die „weiße Frau“ zu löcken, die ihr hundertfach im Hörsaal gegenüber saß. Sprachlich brillant, in treffenden plastischen Bildern, sezierte sie den modernen Ich -Findungsprozeß der „weißen Frau“. Scharf, bestechend, unbarmherzig, zwischendurch auch mal selbsterkenntlich witzig, aber ohne ein Fünkchen Liebe für die „weiße Frau“: Jede feministische Diskussion derzeit lande beim „Ich“: „Das 'Ich‘ fordert seinen Platz an der Sonne ein.“ Unter Frauen herrsche der Irrglaube vor, das „Ich“ im „Ich“ finden zu können und nicht in der Begegnung. Die „weiße Frau“ von heute sei daher wenig in der Lage, sich der fremden Frau zuzuwenden.

Die Referentin verhehlte dabei nicht, daß männliche und weib

liche WissenschaftlerInnen den Prozeß der „Individualisierung in der Industriegesellschaft“ schon vor einigen Jahren mit ähnlichem Ergebnis analysiert hatten: Die Abwendung vom Politischen; die eingeschränkte Wahrnehmung, die um's „Ich“ kreist; die stete Arbeit am „Ich“ mit dem Ziel der Selbstverbesserung; die daraus folgende Verarmung des „Ich“.

Thürmer-Rohr führte dann den frauenbewegten „weiblichen Egozentrismus“ auf vier Phänomene zurück. Erstens: In der Wohlstands-und Warengesellschaft seien Frauen versucht, feministische Bücher zu konsumieren wie andere Waren auch, für die „kleine private Befriedung und Stimulation“, als „Tip und Rezept“, „Feminismus als Sonderangebot“. Zum zweiten führte Thürmer-Rohr den weiblichen Egoismus auf das „Erbe der Hausarbeit“ zurück: Die Frauen seien über Jahrhunderte geworden, „wie die Hausarbeit und die Arbeit am Mann es braucht.“ Es folgte eine Tirade auf die wackere Hausarbeiterin: Ihr Radius sei auf ihre kleine Kind-Mann -Welt begrenzt, ihr Alltag durch die Wiederholung immer gleicher Arbeitsabläufe bestimmt, ihr Streben auf kurze kleine Erfolge aus: „Nach dem Abwasch ist das Geschirr sauber, nach dem Frisieren ist sie frisiert.“ So geprägt sei die Frau für hartäckigen und langwierigen feministischen Kampf nicht geschaffen.

Drittens verschärfe die Frauenbewegung selbst den Egoismus ihrer Mitglieder, wenn sie sie dazu aufrufe, der weiblichen „Selbstaufopferung“ für andere ade zu sagen und das eigene 'Ich‘ zum Programm zu machen. Der moderne, von Frauen finanzierte Therapismus gehe von dem fatal-unglaubwürdigen zwei-Phasen-Schritt aus. Erst nachdem das eigene Ich gefunden, gefüllt und gestärkt worden sei, sei es laut Therapie-Modell an der Zeit, sich anderen 'Ichs‘ zuzuwenden. Viertens und letztens hegte Thürmer-Rohr den Verdacht, das Ich-Findungs-Bestreben der „weißen Frauen“ sei das Nachholen der bürgerlichen Freiheitsbewegung durch die Frau - „um 150 bis 200 Jahre verspätet“. Das Motto „Je

der ist seines Glückes Schmied“ werde nun auch von den Frauen entdeckt. Thürmer-Rohr: „Ein zutiefst bürgerliches Denken“. Die Hochschullehrerin Thürmer-Rohr wies einen dornigen Ausweg: „Feminismus ist nicht Glück, sondern Erkenntnis.“

Damit hatte sie die versammelten Ego wahrlich nicht gestreichelt oder gepflegt, eher schon zerpflückt, deprimiert. Eine Zuhörerin vermißte „Positiveres“. Eine andere wollte hören, ob nicht wenigstens lesbische Frauen von der Analyse ausgenommen seien. Doch auch diese trügerische Hoffnung machte Thürmer-Rohr zunichte. Ihr Werk war der Frontalangriff auf's mühsam hochgepäppelte weibliche Ich, nicht das Abwägen zwischen notwendiger Ich-Stärke und überzogenem Egozentrismus, keine Hilfe beim Balanceakt zwischen politisch-sozialem Engagement und Privatheit.

B.D.