: Das Todeslager in Ihrer Nachbarschaft
■ Sowjetisches Internierungslager im Berliner Stadtteil Hohenschönhausen / Bruchlose Übergabe ans MfS
In elf sowjetischen Lagern wurden in den ersten vier Jahren nach dem Krieg rund 200.000 Deutsche interniert. An Hunger, Krankheit und Entkräftung starben nach Angaben der „Vereinigung der Opfer des Stalinismus“ 90.000 von ihnen. In Berlin-Hohenschönhausen erinnern sich jetzt Anwohner an das Internierungslager, das nach 1949 bruchlos in einen Stasi -Knast überging.
Hohenschönhausen - 40 Jahre lang wurde zwischen den langen Wohnblocks der Tausenden Stasi-Angestellten über Geschichte nur geschwiegen. Jetzt beginnen sich Anwohner zu erinnern: Auch dort, wo bis zum letzten Jahr eine der Hauptstellen des MfS arbeitete, gab es von 1945 bis 1949 ein Internierungslager der sowjetischen NKWD. „Zwischen 6.000 und 12.000 Tote muß es in diesem Lager gegeben haben“, schätzt einer, der vieles mit eigenen Augen gesehen hat. „Alle zwei bis drei Tage, im Winter 46/47 sogar jeden Tag, rollte eine Pferdekutsche mit einem Berg Leichen an unserer Haustür vorbei“, erinnert sich Hermann W. Das landwirtschaftlich genutzte Grundstück seiner Eltern grenzte direkt an die Lagermauer.
„Einige der russischen Soldaten, die dort Dienst taten, kannten wir schon aus dem Krieg - sie hatten als Zwangsarbeiter in der Berliner Landwirtschaft gearbeitet“, berichtet Hermann W. Er selber war damals 16 Jahre alt und befreundete sich mit dem Soldaten Ilko, der von den Deutschen „Julius“ genannt wurde. Zu seinen Aufgaben gehörten die Kutschfahrten mit den Toten des Lagers über das Bahngleis des Hohenschönhauser Industriebahnhofs auf ein Gelände, das heute an die Gärtnerstraße grenzt. „Zuvor hat es dort eine Schweinezucht gegeben, ab Kriegsbeginn wurden die ehemaligen Buchten und Silos als Schuttabladeplatz benutzt“, erinnert sich Hermann W. Später wurde auch noch Karbidschlamm aus einer nahegelegenen Fabrik in die Löcher gekippt, der gegen Ende des Krieges von ausgebombten Nachbarn zum Teil als Mörtel wiederverwendet wurde. Die dadurch wieder geleerten Löcher dienten „Julius“ als Gräber.
Zementplattenwerk auf dem Gräberfeld
„Die Leichenkutsche kam abends, tagsüber bereiteten Sträflingskolonnen das Gelände vor“, berichtet Hermann W. Nach Gründung der DDR lag das Gräberfeld zunächst brach, dann wurde dort Bauschutt für den Export nach Westberlin gemahlen. Erst Ende der 60er Jahre entstand am gleichen Ort ein Zementplattenwerk, das bis heute dort arbeitet.
„Wahrscheinlich wurden für die flachen Lagerhallen keine tiefen Fundamente gelegt, so daß die Bauarbeiter nicht auf die Überreste des Gräberfeldes stoßen mußten“, vermutet Richard W., der Bruder von Hermann W. Doch selbst wenn dort gegraben worden sein sollte - von den Leichen wäre trotzdem kaum noch etwas zutage gekommen. Der in den Buchten und Silos gelagerte Karbidschlamm hätte in den 20 Jahren alle Überreste zersetzt.
Freundschaft mit den Wachsoldaten
Wenn auch die Leichen verwest sind, die Erinnerung bleibt. Auch die Erinnerung an die Freundschaft mit „Julius“, dem russischen Wachsoldaten. „Als er erfuhr, daß er in die SU zurückgeschickt werden sollte, hat er sich aufgehängt“, berichtet Hermann W., „Er hatte so große Angst. Als wir ihn tot am Baum hängen sahen, da hatte er noch die Schuhe an, die ich ihm geschenkt hatte.“
Hermann und Richard W. kannten viele der russischen Wachsoldaten. „Die kamen immer wieder über die Lagermauer zu uns aufs Grundstück, haben uns auch manchmal Lebensmittel mitgebracht oder Dung gegen Schnaps getauscht“, erinnern sich die Brüder. Auch Briefe der deutschen Gefangenen wurden so aus dem Lager geschmuggelt und von den russischen Wachsoldaten manchmal sogar persönlich durch die Stadt zu den Familien und Verwandten gefahren.
„Auch heute haben wir keinerlei Rachegefühle oder ähnliches“, sagt Hermann W., „wir möchten nur, daß nach so vielen Jahren die Wahrheit aufgeklärt wird.“ Das liegt ihnen auch deshalb am Herzen, weil ihr eigener Vater in einem NKWD -Lager in der Nähe von Cottbus gestorben ist: „Bis heute wissen wir nicht, wo er begraben ist, und es gibt keinen Grabstein.“
Zumindest in Hohenschönhausen soll sich das jetzt ändern. Das „Neue Forum“ hat sich um die Genehmigung bemüht, auf dem Lagergelände eine Gedenkstätte für die Opfer des Stalinismus zu errichten. Doch bislang ohne Erfolg - aus „Sicherheitsinteressen“ sei das nicht möglich, wurde ihnen beschieden. „Das ist eben eine Stasi-Gegend hier“, erklärt sich der Gemeindepastor Hoftmeister die ablehnende Haltung der Behörden. Am 18. März stimmten in seinem Wahlbezirk immerhin 56 Prozent für die PDS. „Wir brauchen jetzt das Signal an die Bevölkerung, daß es mit der Aufarbeitung losgeht“, meint Hoftmeister.
Bruchlose Übergabe
an die DDR
Und viel gibt es da aufzuarbeiten. Nachdem das sowjetische Internierungslager ab 1945 kontinuierlich gewachsen war, ging es 1949 bruchlos an die Behörden der neugegründeten DDR über. Später übernahm dann die Stasi das Regiment. Große Teile der Oppositions-Prominenz haben den Hohenschönhauser Knast von innen kennengelernt. Walter Janka, Bärbel Bohley, Gerulf Pannach, Jürgen Fuchs und viele mehr sind in den Stasi-Gebäuden verhört worden, die nach und nach auf dem früheren NKWD-Gelände gebaut wurden.
Das „U-Boot“
Als Mitglieder des Runden Tischs Anfang des Jahres als erste „Kontrolleure“ hinter die hohen Mauern des Stasi-Knastes sehen konnten, entdeckten sie auch einen Zellentrakt, von dem es in der Nachbarschaft schon viele Gerüchte gegeben hatte. „U-Boot“ wurden die finsteren Zellen im Keller von den Gefangenen getauft. Walter Janka soll dort eingesperrt worden sein. Doch Gerüchte über mehrere unterirdische Etagen oder Zellen, die unter Wasser gesetzt werden könnten, bestätigten sich nicht. Die Stasi-U-Haft präsentierte sich mit modernen Glasbausteinen in den Zellenwänden. Sie sollen jetzt gegen Fenster ersetzt werden, die sich öffnen lassen.
Als letzte lernten jetzt Erich Mielke, Günter Mittag und andere hochkarätige Repräsentanten des SED-Regimes die Stasi -Zellen auf dem Gelände des ehemaligen NKWD-Lagers kennen. Weniger als 50 Untersuchungsgefangene, unter ihnen auch noch Mittag, sind heute die letzten Insassen.
Arbeitsplatz für Staatsanwälte
Dafür sind in eines der großen Gebäude inzwischen dutzende Staatsanwälte eingezogen, die sich mit der Vorbereitung der Prozesse gegen die verhaftete SED-Prominenz befassen. Sie haben reiches Material zur Verfügung. Denn auf dem Gelände lagern unter anderem die Millionen Karteikarten, die von den Grenztruppen über alle Ein- und Ausreisen und deren Verbote erstellt worden sind.
Andere Teile des Stasi-Geländes, zum Beispiel eine Druckerei und eine Fahrzeugwerkstatt sind inzwischen öffentlich zugänglich. Doch der Zugang zum Gelände des früheren Internierungslagers ist noch mit der hohen Mauer versperrt. Und auch über den Gräbern der vielleicht 10.000 Opfer des Nachkriegslagers stapeln sich heute noch die frischgegossenen Betonplatten.
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