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LINDY GOES TO BABELSBERG

■ „Three American Women“ im Potsdamer Haus der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft

Per Mundpropaganda zirkuliert die Nachricht, wann Lindy Annis auftritt und vor allem wo. Lindy Annis in der Galerie SoToDo. Aber die Galerie SoToDo bezeichnet keinen Ort. Sie taucht mal hier auf, mal dort. Z.B. in einem Lokal, das von außen mehr wie ein Bretterverschlag aussieht. Wo sie auftaucht, dort IST die Galerie SoToDo. Sie ist ein mobiler Ort in der Stadt. Das macht die Stadt zu einem riesigen „Feld“, in dem es gilt, seine eigenen Gebiete zu erobern oder anders gesagt: sich als Clan zu organisieren. Clan, das heißt zunächst Ausschluß. Man verwischt seine Spuren für Fremde. Nur die Clanmitglieder erhalten die Information nur sie finden die eigenen Orte... Ohne sie zu polieren nicht als gesunkenes Kulturgut - werden sie gerade als verlassene rezipiert... Dort zu sein, ohne durch die Anwesenheit das Verlassene zu einem Nicht-Verlassenen zu machen. Vielleicht ist das subversiv. Dann hieße subversiv, dort zu sein, wo die Macht nicht mehr ist.„

Dies ist ein Zitat.

Wenn alles schon gesagt ist und schön gesagt ist (jüngst z.B. von Isolde Charim in dieser Zeitung), dann bleibt das Zitat als einzige Möglichkeit des Sprechens. Am Mittwoch traten in Potsdam drei amerikanische Frauen als „Three American Women“ auf, um Performances zu präsentieren.

Dies ist ein Zitat. Das sagt, schon qua Form, immer auch die Performance. Performerinnen (mit kleinem i; Frauen haben das Monopol auf die Performance; Frauen betreiben immer schon das Zitieren ihrer selbst) machen Zitatkunst.

Zitate allerdings sind auf ihre Umgebung angewiesen und verändern sich durch diese. Das wissen wir durch den klassischen Anwurf des Zitierten, sein Zitat sei „aus dem Zusammenhang gerissen“. Zitierkunst ist Reißkunst. Was passiert also - passiert was, wenn sich die im Eingangszitat beschriebenen Umstände und Voraussetzungen dieser Kunst in ihr Gegenteil verkehren? Wenn sie, die nichtseßhafte Kleinkunst von wechselnden Schmuddelorten wegverpflanzt wird in heilige Stätten der Hochkultur, an Orte, wo die Macht (nicht mehr) ist.

Braucht die Performance ihr Ambiente? Ost-Berlin ist nicht West-Berlin. Potsdam ist nicht Ost-Berlin. Und das Haus der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft ist nicht Potsdam, sondern Imponierarchitektur mit sowjetischem Flair inmitten barocker Verfallsaura. Breiter Eingang und Aufgang; unten der Minsk -Saal; rechts die Berioska-Bar; dann gewendelte Treppenführung hoch in den ersten Stock; vorbei an zwei symmetrisch auf den Treppenabsätzen angeordneten Grünpflanzenpreßholzkartons auf 50er-Jahre -Bleistiftbeinchen; bis zur zweiten Biegung begleiten gerahmte Laienaquarelle und Zeichnungen unserer Flora die Treppensteiger; dann folgt die Fotoausstellung über Herrn Rodenberg - wer immer Herr Rodenberg ist - bei der Eröffnung X, der Begrüßung Y, mit FdJ, mit Frau, mit Arbeiterkindern, mit Parteisekretär... An der Wand hängt das Veranstaltungsplakat für März: Zwetajewa als Lyrikerin, Plaudereien am Samowar, Bilder aus Kasachstan, Kennst du das Land der Freunde, Bunter Abend: Kreuzfahrt im Schwarzen Meer, Liederrunde, Dia-Abend, Hinterglasmalerei und Sprachkurs, Was kann/soll/will uns die Perestroika? - Nichts mehr vermutlich, jetzt, „wo die Macht nicht mehr ist“.

Das Haus ist ein (H)Ort der Volkskunst also im schönsten erschrecklichsten Sinne. Ein Phantom ist Kulturträger dort, wo vom und fürs Volk immer schon dasselbe sein soll. An diesem Ort nun findet das nicht ausgedruckte, da so langfristig nicht vorhersehbare amerikanische Frauenprogramm statt; im wunderbaren Kassettendeckensaal mit säkularem Mammut-Wandtryptichon, weißtischtuchgedeckten Tischen, jeder mit haltbarer Fettpflanze in Blumentopf mit Schonbezug und umsetzt mit der Ost-Off-Avantgarde-Szene: ein Zerrbild unseres eigenen überlegenen Systems.

Die Klischees prasseln nur so. Die ungeübte Westlerin knallt durch zwischen Lachen und Weinen: Es kann doch nicht sein, daß alles wirklich so war! Und die Klischees prasseln wieder nur so, als es dann auf der rot besamtvorhangten Bühne losgeht: Da ist die kleine dicke Häßliche mit den strammen Stempelbeinchen und der schrillen Stimme (I dedicated my life to art, and I dedicated my body to Rudolf Nurejev), die die Freßode vorträgt, oder die fast stumme allvertraute Szene vom weiblichen Warten auf den Anruf des Lebens; da ist die Einkaufslisten-Arie, vom männergestrichenen Cello begleitet; da ist das Gedicht von Liebe-und-Leben: First comes Love und dann doch wieder nur das mickrige Leben; dann kommt die Einmal-im-Leben -Hauptdarstellersein-Übungsperformance; da ist die begnadet vorgeführte Geschichte vom Verschlafen des Lebens - Annis kann im Stehen liegen -; und dann ist da noch die Travestie von der Heiligen Johanna, die das Rauchen aufgeben will Joan of Arc sitting in the parc/dark usw. usf...

Klar, das ist das von uns allen geliebte herzergreifend falsche, weil immer von den andern handelnde Kleinspießidyllen-Szenario, vorgeführt von der herzergreifend perfekt simulierenden Trash-Avantgarde Lindy Annis, Priscilla B., Victoria Pickett für die herzergreifende Möchtegern-In-Szene Ost. Und das ist wonnevoll, da kunstverhüllt und ausgestellt durch die fremde in die Ferne rückende englische Sprache. Die aber ist bis zur tautologischen Verständlichkeit auf ihr eigenes Klischee gebracht. Das wiederum lieben wir auch alle so am Englischen bzw. der amerikanischen Variante. Weil es unserem Klischee vom Vollamerikanischen so entspricht. Genau so sind sie!

In diesem Sinne paßt dann auch wieder das Ambiente des Hauses der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft mit seinem 50er -Jahre-Sozialismus-Barock. Bei den Amis in der Provinz, das wissen wir Altkontinentler schon von vornherein, sieht es doch nicht anders aus: Plastikplüsch und Knallchargen; das mögen die Amis; und das mag der heimliche Ami in uns heimlich auch.

Kurzum: Da läuft die globale Volkskunst ohne Volk in Potsdam zu ihrer Höchstform auf; volkskünstlich auch gerade in ihrer besinnungslosen Mixtur. Da wird im Frauenprogramm plötzlich Hindemith als Cello-Ein-Mann-Einlage zu Gehör gebracht; da ist die ganz streng wortlose Körperhandlung zu besehen, aufgeführt im weißen Reform-Betttuchhängerchen; da tritt ein kleines Monster in kreischender Hyperkostümierung auf: Tütü, Tiara, Gaze, Stola und Ballerinas from Karrstädt, Herrmannsplätz; wir leiden mit der schlechten Provinztragödin an ihren großen falschen Fuchtelgesten in schwarzroter Samtrobe... usw. usf.

Gar nichts paßt zusammen. Auch nicht das reichlich platte Kalau-Theater und sein schon vorweg herbeimoderiertes Lachen mit der allerfeinst aufs Minimum des Allgemeinsten herunterverdichteten Wörter- und Körperrede von Lebensgrundsituationen. Die sind als Themen bei Performerinnen üblich, wie bei Clowns und Pantomimen auch; bei den Three American Women aber sind sie gebrochen man mag es ja gar nicht hinschreiben, immer wird in der Kunst etwas gebrochen, erbrochen, verbrochen, zerbrochen. In der Szene vom Haß zählt Annis z.B. Situationen auf, die sie haßt, und das in litaneihafter Rhetorik, die den Haß schon wieder aufhebt; dazwischen wird sie wortlos zur anderen Person, die von wilder selbstmetzelnder Wut geschüttelt ist. Schnitt. Und sie trägt wieder mit Valiumstimme vor: You know what I really, really hate.

Alles ist Zitat, alles immer schon gesagt, gewußt, geschrieben, gezeigt und belacht. Alles ist so richtig und so falsch. Und dann verlassen wir den Kitsch-as-Kitsch-can -Ort und treten heraus ins falsche Mittelalter-Potsdam einer demnächst falschen Europa-Metropole Berlin. Alles paßt und paßt wie die Faust aufs Auge. Ja, genau so. So ist das Leben. You know what I really hate? Wenn es aufhören täte.

Christel Dormagen

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