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Plazebo-Gesetz mit Fußangeln

Bundestag verabschiedet das Gen-Gesetz  ■ G A S T K O M M E N T A R

Historische Tage gibt es derzeit so viele, daß man schon gar nicht mehr hinhören möchte. Doch das Passieren des Gentechnik-Gesetzes durch den Bundestag ist tatsächlich ein solcher Tag, eine Zäsur in der Geschichte der gentechnologischen Forschung und der Kritik dieser Forschung. Gestern hat die Mehrheit im Bundestag beschlossen, daß die Gentechnik in diesem Land ab sofort ordentlich und berechenbar ist: Begleitet von richtigen, schwarz auf weiß gedruckten Paragraphen, ein paar Haftungsregelungen, falls doch mal etwas schieflaufen sollte, einem Berg an schlampig hingeworfenen Verwaltungsvorschriften, die die vielen Organismen in wenige Gefahrenstufen einzuteilen wissen, und einem winzigen Rest an Mitspracherechten der Öffentlichkeit für den demokratischen Anstrich.

Jahrelang fanden sich Industrie und Forschung gut zurecht in der Gesetzlosigkeit: Da wurde gerührt und geschüttelt, kloniert und hybridisiert, gescreent und rekombiniert, was die Reagenzgläser hergaben. Wo eine rechtliche Grundlage hätte sein müssen, bedeckten Abwasserverwaltungsvorschriften und Bundesimmissionschutzgesetz mühsam die peinliche Blöße und wenn das Kölner Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung im letzten Jahr nicht zu dusselig gewesen wäre, seine Samen richtig zu zählen, hätten 37.000 Gentechnik-Petunien bereits auf dem freien Acker geblüht, wäre die erste Freisetzung auch ohne Gen-Gesetz gelaufen.

Das gerichtliche Aus für die Großfermenter der Firma Hoechst im November letzten Jahres war ein schwerer Schock für alle, die dachten, daß nichtvorhandene Gesetze nur für sie selbst gut sind: als rechtsfreier Raum für die Gen -Ingenieure. Doch nach dem Hoechst-Urteil konnten es Wissenschaft und Industrie auf einmal nicht schnell genug haben mit dem Gentechnik-Gesetz: Raus aus der Grauzone sollte es gehen. Und auch weg vom Image der genialen Alleskönner, die in ihren Laboren in die Vorgänge des Lebens auf geheimnisvoll-revolutionäre Weise einzugreifen imstande sind. Auf die Lippe hätten sie sich beißen können für jede der vielen Großmäuligkeiten, die ihnen im Laufe der Jahre entwichen sind, denn auf einmal soll die Gentechnik die unspektakulärste Sache der Welt sein. Und natürlich ungefährlich.

Das Gentechnik-Gesetz, das die Koalitionsfraktionen jetzt auftragsgemäß durch die Legislaturperiode boxen, ist vor allem ein Gesetz für die Öffentlichkeit: nicht um sie vor den unabsehbaren und bisher viel zu wenig diskutierten körperlichen, seelischen, sozialen und ökonomischen Gefahren zu schützen, die diese Forschung mit sich bringen kann, sondern um sie zu beruhigen.

Aufgabe der KritikerInnen wird es nun sein, allen, die glauben, daß schlecht gemachte Gesetze nur für sie selbst gut sind, zu zeigen, daß dem so nicht ist. In den Verwaltungsvorschriften sind trotz aller verheerenden Defizite noch genügend Fußangeln die auch nach der Verabschiedung des Gesetzes Möglichkeiten für kritisches Eingreifen, für das Entfachen von Diskussionen und für das Verhindern unverantwortlicher Experimente bieten können.

Susanne Billig, Gen-ethisches Netzwerk

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