Der Bohnenonkel im Land der Milchkühe

Der sozialistische Ex-Bürgermeister Limas, Alfonso Barrantes, kommt im Wahlkampf in der Provinz nicht gut an / Hartnäckiges Spalter-Image / Milch für alle, aber kein Wirtschaftsprogramm / Bauern wollen Schutz und Frieden / Auftritt unter massivem Polizeischutz  ■  Aus Huancayo Nina Boschmann

Huancayo ist ein übersichtlicher Ort. Am besten - so der Rat, der jedem Neuankömmling auf der Straße zugeflüstert wird - bewegt man sich nicht mehr als nötig. An der Universität sind heute schon drei Bomben explodiert, das Umfeld der auf 3.200 Meter Höhe gelegenen 400.000-Einwohner -Stadt ist gut mit Kadern von Sendero Luminoso durchsetzt. Die zehn Lastwagen voll Soldaten, die die Garnison zum Schutz der Präsidentschaftskandidaten bereitgestellt hat, reichen für zwölf Straßenblocks. Damit ist der Spielraum der Wahlkämpfer abgesteckt: die Plaza im Zentrum.

Sie wird auf der einen Seite begrenzt vom „Hotel de Turistas“, wo vor einiger Zeit der Chef der Guerilla Tupac Amaru, die mit Sendero Luminoso konkurriert, verhaftet wurde. Dort wohnt der Präsidentschaftskandidat der „Sozialistischen Linken“ samt eindrucksvollem Gefolge an Leibwächtern. Rechts davon liegt die Post. Sie muß zugänglich bleiben, weil dort die Wählerlisten aushängen. Links ist Feindesland. Das Rathaus wurde bei den Kommunalwahlen im vergangenen November knapp von der Rechtsfront „Fredemo“ gewonnen. Es bleibt also für Reden und Massenversammlungen ein halber Hektar vor dem Telegraphenamt. Überdies ein strategisch günstiger Ort, sollte der Kandidat wieder - wie erst vor kurzem des Nachts in einer Küstenstadt geschehen - nach einer kleinen Strommastsprengung im Dunkeln stehen.

Doch in Huancayo ist es des Nachts ohnehin nicht so gemütlich, und so wird die Versammlung von Präsidentschaftskandidat Alfonso Barrantes Lingan, dem ehemaligen Bürgermeister von Lima, lieber in der warmen Nachmittagssonne abgehalten. Der Platz ist hübsch durch rote Plakate mit roten Bohnen auf weißem Grund dekoriert, denn Bohnen sind das Wahrzeichen von Barrantes. Tausende von Interessierten sind erschienen, umrahmt von fitten jungen Rekruten mit Combat-Montur und schwarzer Kapuze, die Gewehre im Anschlag und leicht nervös.

Dementsprechend kommt Barrantes nach einer kurzen Schweigeminute für den zu Beginn der Gewaltwelle vor Jahren hier ermordeten linken Bürgermeiste Saul Munoz auch gleich auf das Thema „Wahlen an sich“: Eigentlich - so Barrantes wäre es besser, nur eine Parlamentskammer mit viel weniger Abgeordneten zu haben als ein Unterhaus und einen Senat mit Hunderten von Volksvertretern. Er sagt es nicht, aber die makabre Umgebung stellt den Zusammenhang her: Ein kleineres Parlament wäre nicht nur billiger, es würde auch den Verschleiß an Kandidaten durch politische Morde verringern. Und überhaupt sind Urnengänge hier etwas sehr Relatives: An den letzten Kommunalwahlen beteiligten sich die meisten Berechtigten gar nicht oder wählten ungültig. Wenn es am 8.April um den neuen Präsidenten geht, wird wahrscheinlich wieder ein Streik stattfinden oder Druck auf die Bewohner ländlicher Gemarke ausgeübt werden, den Wahlzettel weiß abzugeben.

Barrantes - unter den Militärregierungen der siebziger Jahre ein bekannter Menschenrechtsanwalt und 1984-86 erster Bürgermeister der damals noch „Vereinigten Linken“ (IU) in Lima - wird in Peru mit der Einführung von Sozialprogrammen für die städtischen Armen assoziiert. Und diesen Joker versucht er heute wieder auszuspielen: „Unser Hauptanliegen ist es, die absolute Armut zu bekämpfen. Als ich Bürgermeister war, habe ich das Milchprogramm eingeführt. Ein Glas Milch täglich für eine Million Kinder, gesetzlich verankert. Das reicht heute nicht mehr aus, wo 60 von 100 Peruanern von der Armut betroffen sind. Heute verspreche ich einen ganzen Liter Milch für alle bedürftigen Kinder von einem bis fünf Jahren und ein Frühstück für die Schulkinder. Das wird aus den Lebensmitteln bestehen, die der tio frijolito (Bohnenonkel; d. Red.) propagiert hat.“ Der Bohnenonkel, das ist Barrantes, weil er jetzt in der Schlußphase seiner Kampagne Hunderttausende von kleinen Tütchen mit schwarzen Bohnen in den Randsiedlungen der Hauptstadt verteilt hat. Ein symbolischer Akt gegen die Agrarpolitik von Präsident Alan Garcia, der anstatt traditioneller andiner Produkte den Konsum von importierten Lebensmitteln durch massive Subventionen gefördert hat. Um die Bohnen schließlich auch auf den Teller zu bringen, will eine sozialistische Regierung un ter Barrantes dafür sorgen, daß 5.000 Volksküchen ausgestattet werden.

Die Finanzierung dieser Hilfsprogramme ist für den Kandidaten gar kein Problem - im Gegenteil, es bleibt noch was übrig: Wenn man nur die Subventionen von Garcia abschaffen, die Steuern regelmäßig einziehen und noch ein bißchen aus dem Ausland bekommen würde, reichte es locker für Milch und Bohnen in Hülle und Fülle und obendrein noch für ein Programm gegen die Jugendarbeitslosigkeit. Damit die Schulabgänger „sich endlich dem Aufbau des Landes widmen, anstatt den Drogen und dem Terrorismus“.

Der Bohnenonkel spricht bedächtig, die Menge hört zu und gibt höflichen Applaus. Die eigentlichen Themen hier im Mantaro-Tal, einem der Hauptversorger Limas mit Lebensmitteln, sind andere. Milch gab es genug, bis die größten Betriebe von Sendero Luminoso zerschlagen wurden. Und auch Bohnen ließen sich in den fruchtbaren Höhen genug anbauen, wenn nicht immer wieder unaufklärbare Massaker bei den Bauern für Angst und Schrecken sorgen würden. Doch einen Friedensplan hat Barrantes nicht und auch keiner der anderen vier Kandidaten, die in den letzten Wochen schon hier gewesen sind.

„Ein Sieg von Vargas Llosa kommt den Terroristen entgegen“, wettert Barrantes: Denn was tun die arbeitslosen Jugendlichen, die ruinierten Bauern und Mittelständler, wenn der Nobelpreisträger Vargas Llosa sein „Schockprogramm“ durchzieht? Sie gehen auf die Straße. Wer unterwandert sie? Die Terroristen. Die Polemik fällt ihm ohnehin leicht: Warum überhaupt lohne es sich für die Rechten, soviel Geld in den Wahlkampf zu investieren? Geld, das sie nie durch ihre Abgeordnetendiäten wieder hereinholen könnten? Eine berechtigte Frage, aber sie trifft nicht die Probleme der Bauern, die gut die Hälfte der Zuhörer ausmachen.

Barrantes rangiert in den Meinungsumfragen je nach Institut auf Platz zwei bis fünf in der Wählergunst. Dazu fällt dem Kandidaten ein Witz ein - der beste Witz seiner Ansprache, aber auch fast ein Eigentor: Meinungsforscher machen eine Umfrage in einem stinkfeinen Edel-College in Lima. 80 Prozent sind für Barrantes. Die Forscher - besorgt über die vermutlich wütende Reaktion ihrer wohlbetuchten Auftraggeber - wiederholen die Umfragen. 85 Prozent für Barrantes. Die Meinungsforscher machen eine Versammlung auf dem Schulhof, um dem Rätsel auf die Spur zu kommen. Seid ihr Kommis? Nein, schallt es wie aus einem Munde zurück. Seid ihr Sozis? Nie im Leben. Seid ihr Linke? Natürlich nicht. Also, wieso seid ihr für Barrantes? Weil unsere Eltern gesagt haben, wenn Barrantes gewinnt, gehen wir alle nach Miami.

Der Kandidat verabschiedet sich, die Menge zerstreut sich, die Lautsprecher aus dem Rathaus übernehmen wieder die Regie: „Vargas Llosa, der Tapfere, der Unübertreffliche“, hallt es zu andinen Rhythmen über den Platz. Und Barrantes? Geht seine Strategie auf, sich im Wahlkampf zurückzuhalten, um dann in der zweiten Runde, der Stichwahl gegen Vargas Llosa, frontal richtig aufzudrehen? Was ist mit seinem Charisma aus Zeiten der Militärherrschaft?

„Weißt du, die Sozialisten haben hier keinen Stein im Brett, und Barrantes wird irgendwie immer noch für die Spaltung in 'Vereinigte Linke‘ und 'Sozialistische Linke‘ verantwortlich gemacht und dafür, daß es jetzt zwei linke Kandidaten gibt“, meint ein Reporter der Lokalzeitung. Die, die höflich zugehört haben, sehen das viel simpler: „Der ist einfach zu passiv, nimmt die Leute nicht so recht ran, da fährt keiner drauf ab“, erklären mir zwei Bauern mit gegerbten Gesichtern.

Die Musik vor dem Rathaus hört auf, die Nacht bricht herein, der Strom fällt aus, und - wie üblich um diese Zeit

-Schüsse peitschen durch die Dunkelheit. Ein Toter, acht Verletzte nach Explosion einer Autobombe. Wahlkampf in der Provinz.