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Irakische Atombombe wächst Stück für Stück

■ Nach 18monatigen Geheimermittlungen wurden auf dem Londoner Flughafen Heathrow 40 Zündvorrichtungen für Nuklearwaffen sichergestellt / Internationale Militärexperten glauben, daß der Irak spätestens bis zur Jahrtausendwende Mitglied des „Atomklubs“ ist

Berlin (taz) - Mitarbeiter des britischen und amerikanischen Zolls haben am Mittwoch auf dem Londoner Heathrow-Flughafen 40 hochbrisante, für den Irak bestimmte Zünder sichergestellt und fünf Verdächtige festgenommen. Daß der Irak solcherlei Kriegsmaterial zum Zünden jener Kanonen benötigt, die traditionell bei Sonnenuntergang das Ende des Ramadanfastens ankündigen, mochte dabei niemand glauben. Denn diese als „Krytrons“ bezeichneten Hochpräzisionszünder dienen nur einem Zweck: dem Zünden von Atombomben.

In offiziellen Stellungnahmen behaupteten Militärexperten daher, solche Zünder, die allgemein als der erste wichtige Schritt zur Fertigung von Atombomben gelten, befänden sich nur in den Händen jener Staaten, die auch bekanntermaßen über nukleare Waffenpotentiale verfügen. In den Vereinigten Staaten, aus denen das nun beschlagnahmte Material stammt, werden solche Krytrons von zwei Firmen gefertigt: der in Burlington (Massachusetts) beheimateten EG&G Inc. und der Milco International in Huntington Beach (Kalifornien).

Unbestätigten Berichten zufolge gelangten die nun sichergestellten Bauteile, die zur Zündung von maximal zwei Nuklearsprengsätzen gereicht hätten, vor einigen Tagen mit einem Flug der US-Gesellschaft TWA aus Los Angeles nach London. Die Festnahmen waren nach britischen Angaben das Ergebnis 18monatiger britisch-amerikanischer Fahndungskooperation. Die britischen Behörden wollen jedoch aus der Angelegenheit keine Staatsaffäre machen und sie wie ein ordinäres kriminelles Delikt behandeln. Denn nach der Hinrichtung des für den britischen 'Observer‘ tätigen Journalisten Bazoft durch die irakische Justiz fürchtet die britische Regierung um das Wohlergehen ihrer im Irak lebenden Landsleute und um die guten Geschäfte mit Bagdad.

Die naheliegende Frage, ob und wie man solch hochsensiblen Zünder in den USA überhaupt legal erwerben kann, verneinten Verantwortliche und meinten, sie seien wohl gestohlen worden. Das allerdings mutet reichlich seltsam an. Denn schenkt man dieser Erklärung Glauben, so wird in den beiden Herstellerfirmen beinahe mehr geklaut als von den Krabbeltischen bei Woolworth. Bereits 1984 wurde ein pakistanischer Staatsbürger in den USA bei dem Versuch festgenommen, 50 Krytrons außer Landes zu schaffen. Ein Jahr später gab dann Israel zu, zwischen 1979 und 1983 gut 800 der begehrten Zündvorrichtungen erhalten zu haben.

In jüngster Zeit waren immer wieder Gerüchte aufgetaucht, nach denen der Irak wohl unmittelbar vor Fertigstellung einer arabischen Atombombe stehe. Die Regierung Hussein hingegen hat dies stets dementiert. Wie weit die Iraker tatsächlich sind, ist unklar. Paul Beaver, Militärexperte der füh renden wehrtechnischen Magazins 'Jane's‘, geht davon aus, daß die Iraker 1995 die Bombe nebst dazugehöriger Trägerrakete besitzen werden. Weitaus vorsichtiger gibt sich dagegen das renommierte Internationale Institut für Strategische Studien (IISS): „Jeder, der vorgibt, als wisse er es, tut nur so“, lautet sein Fazit. Israelische Militärexperten glauben, daß der Irak noch fünf bis zehn Jahre braucht, bis er eine einsatzfähige Bombe hat. Schon im Sommer 1981 hatte Israel den - von Franzosen gebauten Kernreaktor „Osirak“ bei Bagdad zerstört und damit das irakische Kernwaffenprogramm um Jahre zurückgeworfen.

Unumstritten ist aber, daß die Iraker Entwicklung und Bau von Trägerraketen technologisch bereits gut im Griff haben. Irakische Ingenieure konnten die Reichweite ihrer sowjetischen Scud-B-Rakete auf rund 900 Kilometer verlängern. Nach 'Jane's'-Informationen besitzen oder entwickeln die Iraker bereits drei eigene Raketen: Die „Hussein“ mit 650 Kilometern Reichweite wurde im Golfkrieg eingesetzt, die „Al-Abbas“ mit 900 Kilometern soll in diesem Jahr installiert werden. Die zusammen mit Ägypten und Argentinien entwickelte „Condor2“ mit 1.200 Kilometern, bei der unter anderem auch bundesdeutsche und Schweizer Firmen tatkräftige Hilfe geleistet haben, wird nach Einschätzung von Paul Beaver vermutlich bereits dieses Jahr starten können. Schon im vergangenen Dezember gelang irakischen Technikern der Start einer 48 Tonnen schweren „Al-Abed„ -Rakete. Ihre Reichweite wird auf 1.600 bis 2.200 Kilometer geschätzt. Tel Aviv und Teheran wären damit erreichbar.

Größere Probleme haben die Iraker offenbar noch mit Lenkung und Steuerung ihrer Raketen sowie mit der Zündung einer Atombombe. Auch eine eigene Urananreicherungsanlage dürfte sich im Zweistromland noch nicht befinden. Über eine mittlere Menge von angereichertem Uran zum Bau einer Atombombe soll das Land aber verfügen.

Saller/Worm

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