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Mißbrauch: „Die Täter sind meistens die Väter“

Bundestagsanhörung zum sexuellen Mißbrauch von Kindern / Der Handel mit Hardcore-Videos floriert / Geschäfte machen die Eltern selbst mit Säuglingen und Kleinkindern / Juristen: Mit dem geltenden Strafrecht ist dem Mißbrauch von Kindern nur schlecht beizukommen  ■  Aus Bonn Ferdos Forudastan

„Kinderpornographie ohne den Mißbrauch von Kindern gibt es nicht.“ So faßte die ehemalige Justizministerin Norwegens, Helen Bosterud, zusammen, worüber sich alle TeilnehmerInnen einer Anhörung zur Kinderpornographie gestern in Bonn einig waren - unabhängig von ihren teilweise sehr unterschiedlichen Ansichten darüber, wie man gegen diesen Mißbrauch ankämpfen muß.

Geladen hatten die frauenpolitischen Sprecherinnen aller Fraktionen und die Kinderkommission des Bundestages. Wissenschaftler und Vertreter von Selbsthifegruppen, Staatsanwälte, Richter und Rechtsanwälte, Kriminalbeamte und eine Rechtsmedizinerin: alle berichteten, daß mehr und immer jüngere Kinder Opfer eines florierenden Pornographiemarktes werden. Videofilme, die zeigen, wie Säuglinge, Kleinkinder, Kinder und Teenager sexuell mißbraucht werden; Anzeigen, in denen Eltern ihre Kinder zum Mißbrauch anbieten oder mit denen Erwachsene nach Eltern suchen, die dazu bereit sind „all dies nimmt rapide und gewaltig zu“, berichtete eine Kriminalbeamtin.

Was dies für die mißbrauchten Kinder bedeutet, berichtete eine Anwältin und Vertreterin von der Berliner Selbsthilfegruppe „Wildwasser“: Sie verfallen in Depression und ziehen sich zurück, ihr Selbstwertgefühl wird zerstört, sie leiden ihr Leben lang unter schweren Schuld- und Schamgefühlen. Viele bleiben bindungsunfähig, ein großer Teil wird drogenabhängig und/oder prostituiert sich.

Mit dem Strafrecht sei diesem Mißbrauch nur schwer beizukommen - zu schwer, befanden die Sachverständigen. So verjährt etwa die vom Paragraphen 184 des Strafgesetzbuchs erfaßte Verbreitung von Filmen und Schriften, in denen Kinder sexuell mißbraucht werden, schon nach sechs Monaten. „Oft nur sehr eng und sehr ängstlich“, so stellten es die geladenen Staatsanwälte dar, legen die Gerichte überdies den Begriff „Verbreiten“ aus. Mit höchstens einem Jahr wird dieses Delikt geahndet, meist nur mit einer Geldstrafe. Der Besitz solcher Porno-Videofilme ist nicht strafbar - und soll es nach Auffassung einiger Sachverständiger auch nicht werden. Zwei geladene Staatsanwälte hielten dagegen: Dem Besitz gehe immer die Herstellung voraus. Und gerade dem zunehmenden Tauschhandel von Kinderpornos komme man nur mit einem Verbot des Besitzes bei. Neben einer Ausweitung des Strafrahmens verlangten die meisten Sachverständigen bessere Beschlagnahmemöglichkeiten und etwa das Recht, in Sexshops und Videotheken eingreifen zu können.

„Der gefährlichste Ort für die Kinder ist ihre Familie.“ Diese Behauptung der anwesenden Rechtsmedizinerin bestätigten fast alle Anwesenden mit etlichen Beispielen. Täter sind fast immer Väter oder nahe Verwandte - „und deswegen darf man nicht nur strafen und mit Strafen drohen, sondern muß Eltern und Kinder aufklären“, resümierte Frauke Homann von „Wildwasser“. Gerhard Amendt, Sexualwissenschaftler aus Wien, stritt gestern in Bonn für eine sehr viel intensivere Diskussion über die Ursachen des sexuellen Mißbrauchs von Kindern - der, seiner Ansicht nach, überdies in äußerlich milderen Formen in sehr vielen Familien üblich sei. Meist jedoch mit den gleichen schweren Folgen.

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