: Das Netz der Beweise wird immer dichter
■ In der „U-Boot-Affäre“ gerät jetzt die Bundesregierung in arge Bedrängnis / Aus Bonn Gerd Nowakowski
Die „U-Boot-Affäre“ ist dabei, zum größten Regierungsskandal der bundesdeutschen Geschichte zu werden: Die Ermittlungen der Kieler Staatsanwaltschaft offenbaren jetzt, in welch ungeheurem Ausmaß die Unternehmen HDW und IKL von höchsten Regierungsstellen beim U-Boot-Handel mit Südafrika gedeckt worden sind. Zusammengebrochen ist die Behauptung, man habe das Geschäft bereits 1985 abgebrochen. Bisher geheime Zusatzverträge belegen, wie Firmenmanager vertuschten und Regierungsstellen Ermittlungen behinderten.
Zehn Meter lang ist das Modell, in dem maßstabsgerecht alle Installationen, sämtliche Rohrleitungen und Aggregate des U -Boots hinter einer durchsichtigen Haut aus Plexiglas nachgebaut sind. Es steht in der südafrikanischen Sandock -Werft und ist das Herzstück der seit Ende 1988 laufenden Fertigung eines U-Boots „made in Germany“. Anders als im ursprünglichen Vertrag vereinbart, ist dieses Modell in Südafrika gebaut worden. Das schien im fernen Deutschland den Howaldtswerken-Deutsche Werft (HDW) und seinem Konstruktionsbüro IKL doch geraten, lief doch zur gleichen Zeit in der Bundesrepublik bereits ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß und ein Ermittlungsverfahren wegen Verletzung des UN-Waffenembargos gegen das Apartheidregime.
Sonderlich beeindrucken ließen sich die Firmen davon nicht
-aus gutem Grund, wie sich jetzt immer deutlicher zeigt. Sie blieben im vorgesehenen Zeitplan. Mehrere Lieferungen von Unterlagen und Material wurden noch durchgeführt, obwohl die Prüfer bereits nach Beweisen suchten. Nach den Unterlagen der beiden Unternehmen wurde die „Konzeptionsphase“ Ende 1987 abgeschlossen; seit Ende 1988 läuft die Fertigung in Südafrika.
Beim Bau des Modells geholfen hat vor Ort der seit 1983 an die Südafrikaner „ausgeliehene“ IKL-Mitarbeiter Stöbner. Seit dem 1. April 1986 ist auch der Fertigungsleiter von HDW, Rademann, vor Ort. Darüber hinaus wurden regelmäßig weitere Mitarbeiter für begrenzte Zeit an den Einsatzort eingeflogen. Und während Minister Stoltenberg Anfang 1987 vor dem Untersuchungsausschuß noch versicherte, die ihm unterstellte HDW arbeite „seit einiger Zeit absolut korrekt“, wurde weiter nach Südafrika geliefert.
In welch ungeheurem Ausmaß die Unternehmen bei dem kriminellen Geschäft von höchsten Regierungsstellen gedeckt worden sind, offenbaren nun erst die Ermittlungen der Kieler Staatsanwaltschaft. Erst vor drei Tagen haben die Fahnder bei einer Durchsuchung - bereits die vierte in diesem Jahr bei hohen Managern der Firmen neues Belastungsmaterial sichergestellt. Sie verfügen inzwischen über Beweise, daß die Südafrikaner die gesamte vorher vereinbarte Summe von 60 Mio. Mark für die Lieferung der kompletten Pläne gezahlt haben. Zusammengebrochen ist auch die für die Öffentlichkeit bestimmte Behauptung, man habe das Geschäft bereits 1985 vorzeitig beendet, ohne daß die entscheidenden Unterlagen geliefert wurden. Deswegen habe man auch „nur 42 Mio.Mark von den Südafrikanern erhalten“, argumentierten die Firmen und legten den Fahndern einen Vertrag über die Reduzierung der Auftragssumme wegen Nichterfüllung vor.
Welch krumme Wege die HDW-Manager bei der Vertuschung gingen, beweist ein jetzt aufgefundener geheimer Zusatzvertrag. Darin wird eine Zahlung von 2,6 Mio. Mark durch Südafrika vereinbart - ausdrücklich „in cash“ und an der Buchhaltung vorbei. Für die Staatsanwaltschaft ist ebenfalls beweisbar, daß die Südafrikaner als geheim eingestufte Pläne erhalten haben.
Durchleuchtet werden nun auch die Schmiergeldzahlungen. Aus der schwarzen Kasse von HDW erhielt der südafrikanische Verbindungsmann Albrecht 2,1 Mio. Mark, davon ein Teil ausdrücklich „zur Weitergabe“ bestimmt. Abgegeben an die zuständige Staatsanwaltschaft Bonn haben die Kieler Ermittler bereits ein Verfahren gegen den ehemaligen CSU -Bundestagsabgeordneten, Rüstungslobbyisten und Strauß -Vertrauten Zoglmann - pikanterweise nur wegen Steuerhinterziehung, denn „Provisionszahlungen“ sind in der BRD nicht strafbar. Nach den bei den Firmen vorgefundenen Verträgen sollte Zoglmann 2,6 Millionen Mark erhalten. Bisher hatten die Unternehmen behauptet, Zoglmann habe kein Geld erhalten, weil das Geschäft nicht zustandegekommen sei.
„Nützliche
Aufwendungen“
Die Kieler Staatsanwaltschaft bringt auch die Bundesregierung, insbesondere Minister Stoltenberg, Außenminister Genscher und Bundeskanzler Kohl in Bedrängnis. Das Netz der Beweise für eine offensive Förderung des Projekts wird immer dichter. Der von Beginn an in das Geschäft eingeweihte Stoltenberg hat die Firmen gewähren lassen. Anstatt die Staatsanwaltschaft einzuschalten, hat er die Ermittlungen im eigenen Hause durchführen und schließlich einstellen lassen. Der ehemalige schleswig -Holsteinische Ministerpräsident und Barschel-Mentor Stoltenberg war nach Angaben des Mitglieds des Untersuchungsausschusses, Norbert Gansel (SPD), auch darüberinformiert, daß die „hardware“ für die Produktion über die Türkei nach Südafrika gebracht werden sollte. Im Mai 1986 lag Stoltenberg außerdem ein Bericht vor, in dem von „nützlichen Aufwendungen“ in Millionenhöhe für „Vermittler“ die Rede war, ohne daß er tätig wurde.
Auch der bereits im Sommer 1983 von Strauß über das Geschäft informierte Bundeskanzler Kohl wurde nach Firmenunterlagen bei der Organisation eines Umwegs für den kriminellen Waffendeal im Rahmen einer Türkei-Reise tätig. In Unterlagen der Firmen ist festgehalten, daß der damalige Kohl-Staatssekretär Schreckenberger „grünes Licht“ für den Waffen-Deal gegeben hat. Gegen den Kanzler-Berater Teltschik hat die Kieler Staatsanwaltschaft jetzt ebenfalls ein neues Verfahren eingeleitet - wegen „Verwahrbruch„; auf gut deutsch: Der Kanzler-Intimus hat Akten vernichtet, um des Kanzlers Verwicklungen in den Skandal zu vertuschen.
Kalte Füße
Nun bekanntgewordene Unterlagen belegen auch, in welcher Form von der damals Stoltenberg unterstellten Oberfinanzdirektion Kiel die „Ermittlungen“ gegen die Unternehmen geführt worden sind: Als die Oberfinanzdirektion im Januar 1988 - nach der zielstrebig angesteuerten Einstellung des Verfahrens - von der Zahlung von zwei Millionen Mark Lizenzgebühren aus Südafrika erfuhr, wurde das Verfahren nicht neu aufgerollt. Vielmehr wurde mit den Firmen beraten, wie der Eindruck aus der Welt geschafft werden könnte, das U-Boot-Geschäft werde weitergeführt - was gemeinhin als Strafvereitlung im Amt gewertet wird. Der Präsident der Oberfinanzdirektion, Hansen, „hat Rückzahlung empfohlen“, heißt es - mit spürbarer Verblüffung zwischen den Zeilen - in einem Schreiben des damals noch von der CDU geführten schleswig-holsteinischen Wirtschaftsministeriums. Und weiter: Die Oberfinanzdirektion „kannte den Vertrag vom 15. Juni 1984. Sie müßte also auch von den später fällig werdenden zwei Millionen Mark gewußt haben. (...) Die Überraschung der Oberfinanzdirektion... ist unerklärlich.“
Ebenfalls festgehalten hat das Wirtschaftsministerium Hansens weitere Aktivitäten. Darin heißt es, „der Oberfinanzpräsident hat... am 26. Januar 1988 auf Herrn Nohse (IKL) eingewirkt, die zwei Millionen Mark zurückzuzahlen“. Hansen hat auch nicht reagiert, als ihm bekannt wurde, daß sich die Firmen mit ihren südafrikanischen Vertragspartnern in Paris trafen, um über die Weiterführung des Geschäfts zu beraten. Auch im Stoltenberg-Ministerium blieb der Hinweis unbeachtet, dieses Treffen bedeute „Kernpunkt und Ansatzpunkt für weitere Aufklärung“.
Auf eigene Verantwortung will Hansen nicht gehandelt haben. Der SPD-Abgeordnete Gansel verweist darauf, daß Stoltenbergs parlamentarischer Staatssekretär Voss beim Verfahren der OFD „mitwirken sollte“. In der Tat gibt es Unterlagen, die Voss, CSU-Mitglied und langjähriger Strauß-Freund, belasten. Damit sind nun alle drei Stoltenberg-Staatssekretäre in den Fall verwickelt. Und der Minister behauptet immer noch, nicht informiert gewesen zu sein. OFD-Präsident Hansen bekommt nun offenbar kalte Füße. Er hat seinem Freund Stoltenberg bereits signalisiert, er werde sich nicht zum Sündenbock machen lassen.
Eine zwielichtige Rolle spielt auch Bundesaußenminister Genscher (FDP). Der im Ausland immer als Gegner von Waffenexporten auftretende Minister hat sich nachhaltig bemüht, die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zu verhindern. Insgesamt fünfmal hat sein Ministerium gegenüber der Kieler Behörde verneint, daß durch das U-Boot-Geschäft ein außenpolitischer Schaden für die Bundesrepublik eingetreten sei - Voraussetzung für Ermittlungen nach dem Außenwirtschaftsgesetz. Zuletzt geschah dies mit einer lapidaren Verneinung einen Tag vor Ablauf der Verjährungsfrist Ende letzten Jahres.
Bundesregierung
in der Klemme
Wie nachhaltig geschädigt das Ansehen der Bundesrepublik tatsächlich ist, dokumentiert ein gleichzeitig erstelltes Schreiben des deutschen UN-Botschafters Bräutigam an den Außenminister. In dem geheimen Schreiben vom 23. November 1989 heißt es, man habe „erstmals wieder Kritik unter Namensnennung in der UN-Resolution hinnehmen müssen, nachdem ihr (der BRD, d. Red.) dies zuvor fünf Jahre lang erspart geblieben war“. Außerdem bestehe die „Gefahr einer erneuten namentlichen Kritik auch in der nächsten Generalversammlung“. „Beim Waffenembargo haben wir es mit einer praktisch von allen UN-Mitgliedern geteilten Überzeugung zu tun, daß Bauunterlagen für U-Boote geliefert“ wurden, schreibt der UN-Vertreter Bräutigam: „Unter diesen Umständen ist es sogar erstaunlich, daß immerhin 43 Delegationen ihre Ja-Stimme (zur Verurteilung der BRD, d. Red.) verweigert haben.“
In die Klemme kommt die Bundesregierung auch von anderer Seite: In Bonn vorstellig geworden ist die indische Regierung und hat dagegen protestiert, daß Südafrika die Pläne jener U-Boote erhielt, die zeitgleich bei HDW für Indien gebaut wurden. Um die Weitergabe auszuschließen, hatten die Inder mit der Bundesrepublik ein Geheimschutzabkommen geschlossen. Bereits 1986 war der Kieler CDU-Wirtschaftsminister Westphal davon informiert worden, daß HDW beim Auftrag für Indien über 100 Millionen Mark Schmiergeld zahlte. Auch die Kieler Staatsanwaltschaft möchte nun wegen Geheimnisverrat ermitteln - die Genehmigung muß allerdings die Bundesregierung erteilen.
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