: Lafontaines Worte fesseln die Euro-Parlamentarier
Programmatische Rede des Saarländers in Brüssel zur Integration der DDR in die Europäische Gemeinschaft ■ Von Michael Bullard
Brüssel (taz) - Der saarländische SPD-Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine in Europalehrerpose: „Ein vereinigtes Europa umfaßt weit mehr als das Gebiet der Europäischen Gemeinschaft.“ Zaghafter Applaus. Seine Kollegen von der Sozialistischen Fraktion im Europaparlament gaben sich höflich beeindruckt, als der neugekürte Kohl-Herausforderer der Sozialdemokraten am Mittwoch abend seine Europarede vorlas.
„Der faktische Funktionsverlust der Nato und des Warschauer Pakts darf nicht zu einem Rückfall in die Sicherheitsstrukturen des 19. Jahrhunderts führen. Jegliche Art von Desintegration vermehrt Unsicherheiten und Unwägbarkeiten. (...) Deshalb ist die deutsch-deutsche Währungsunion keine rein innerdeutsche Angelegenheit“, diktierte der Saarländer gestelzt in die bereitgestellten Mikrophone.
Wenig Begeisterung schwang auch mit, als er den von EG -Kommissar Martin Bangemann aufgestellten Fahrplan für die Eingliederung der Deutschen Demokratischen Republik in die Europäische Geierschaft als unhaltbar bezeichnete. Die Absicht, „die deutsch-deutsche Währungsunion bis zum 1. Juli dieses Jahres bei einem Umtauschsatz eins zu eins zu verwirklichen, ist eine Entscheidung gegen die Bundesbank und widerspricht jedem ökonomischen Sachverstand“, behauptete Lafontaine. Der Streit in der Koalition darüber werde noch zunehmen. Bangemann hatte in der vergangenen Woche einen Dreistufenplan erläutert, wonach der deutsche Währungsverbund bis 1. Juli vollendet sei und die Deutsche Demokratische Republik in den folgenden zwei Jahren ökonomisch so weit aufholen könne, um dann nach dieser Übergangszeit Ende 1992 vollständig in die Zwölfergemeinschaft integriert werden zu können. „Wer den Währungsverbund will, muß zuvor dafür sorgen, daß ein soziales Netz aufgespannt wird“, um die vorprogramierte Arbeitslosigkeit abzufedern. Dies werde jedoch Zeit und Geld kosten, prophezeite Lafontaine unter Rückgriff auf sein programmatisches Standardrepertoire.
Nicht Ex-Kanzler Helmut Schmidt hätte der Europaneuling zum Vorbild nehmen sollen, sondern Altmeister Helmut Kohl. Der hatte letzte Woche das Brüsseler Publikum mit schwülstigen Vergleichen zwischen dem unaufhaltsamen Lauf des Rheins und der Zukunft Europas hingerissen.
Stattdessen langweilte Lafontaine mit „integrativen Lösungen hin zu einem europäischen Sicherheitssystem, das die Sowjetunion miteinschließt“. Analog zur deutsch -französischen Brigade will er eine deutsch-polnische Brigade gründen. Und vielleicht, so seine Hoffnung, „wird Gorbatschow ja doch noch kühn, und stellt für den Warschauer Pakt einen Aufnahmeantrag bei der Nato“.
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