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Türkinnen in der Fabrik

■ Unverholene Diskriminierung unter Frauen / Meister machen krasse Unterschiede / Studie von Gülay Toksöz

Türkische und jugoslawische Arbeiterinnen sind in den unteren Abteilungen der Metallindustrie unter sich. Das erklärt eine türkische Betriebsrätin so: „Die Arbeit hier fällt den Deutschen schwer. Z.B. in unserer Abteilung gibt es keine Deutschen, weil sie während der Anlernzeit sagen: 'Wir sind nicht so verrückt, um hier zu arbeiten‘ und weggehen.“ Türkische Arbeiterinnen ziehen Selbstbewußtsein daraus, daß sie härter schuften können als die deutschen Frauen. In ihren Abteilungen wird am Fließband in

Schichten und im Akkord gearbeitet. Eine andere türkische Betriebsrätin: „Es wird gesagt, daß in Berlin achzig, neuzigtausend Leute arbeitslos sind. Aber nur die Türken kommen hierher. Ausländer haben Angst, daß sie ohne Arbeitserlaubnis keine Aufenthaltserlaubnis bekommen.“ Die in diesen Abteilungen vereinzelt tätigen deutschen Frauen sind Einrichterin, Prüferin, Vorarbeiterin oder verrichten leichtere Arbeiten. Es gibt auch gemischte Abteilungen: dann mit zwei Lohngruppen. Die Arbeiterin

nen, die am ersten Teil des Bandes sitzen, bekommen weniger Lohn, als die am zweiten Teil. In der ersten Hälfte sitzen Türkinnen und Jugoslawinnen, in der zweiten Deutsche. Die Eingruppierung der Männer beginnt bei Lohngruppe 3. Konkurrenz zwischen deutschen und ausländischen Frauen gibt es aber nur wenig, weil das Bevorzugen der Deutschen eine klare Sache ist. Die deutschen Frauen werden nie vom Meister angeschnauzt, wenn sie untereinander quatschen oder aufs Klo müssen. Auch werden die deutschen Frauen auf Wunsch umgesetzt und können im Betrieb aufsteigen. Konkurrenz gibt es dagegen, wenn keine deutschen Arbeiterinnen da sind und die Meister anfangen, die Jugoslawinnen vorzuziehen. Die Berliner Doktorandin Gülay Toksöz hat in diese und andere Einblicke gewonnen, als sie in drei Berliner Metallbetrieben ausländische Arbeiterinnen interviewte. Als sie ihre Ergebnisse auf der Frauenwoche vorstellte, hörten weniger als zehn Frauenwöchnerinnen zu, überlaufen waren dagegen Veranstaltungen, in denen allgemeiner über „Sexismus und Rassismus“ zu diskutieren war.

Gülay Toksöz‘ Referat bewies: Das Stereotyp der Türkin als dem Ehemann hinterhergereister, und in der gemeinsamen Wohnung eingesperrter untertäniger Hausfrau, es hat noch nie gestimmt. Haben doch die deutschen Firmen für un- und angelernte Jobs in den 70er Jahren gezielt alleinstehende Frauen in der Türkei angeworben. Für die Bundesrepublik gilt, so Gülay Toksöz: „Fast jeder dritte ausländische Arbeitnehmer (31 %) ist eine Frau.“ Die Ausländerinnen gehören zu den Randbelegschaften und sind die absoluten Verliererinnen beim Arbeitsplatzabbau in der Industrie. Sie wurden und werden als erste entlassen, nicht nur weil ihre Abteilungen eh wegrationalisiert

werden, sondern auch weil sie als konfliktschwächste Gruppe gelten. Die älteren Ausländerinnen werden nicht nur durch Maschinen ersetzt, sondern auch durch ausländische Männer (weil Frauen nicht im Drei-Schicht-System arbeiten dürfen) und durch jüngere Ausländerinnen, weil die besser Deutsch sprechen. Neuestens werden ihnen auch Übersiedlerinnen vorgezogen. Den älteren türkischen Arbeiterinnen bleibt nur ein Ausweg: Sie verdingen sich bei Leihfirmen im Reinigungsgewerbe.

Wenn sie krank werden, wagen sie meist erst dann sich krank schreiben zu lassen, wenn sie bereits seit mehreren Jahren im Betrieb arbeiten. Oft kriegen sie auch dann noch Mahnbriefe nach Hause oder die Meister rufen an und drohen mit Kündigung. Aufgrund ihrer großen Angst vor Entlassung sind die ausländischen Arbeiterinnen höher gewerkschaftlich organisiert (53 %), als die deutschen (49 %). In den Betrieben, die Gülay Toksöz untersucht hat, konnten Ausländerinnen aber höchstens da mit dem Betriebsrat rechnen, wo sich eine oppositionelle Gewerkschaftsliste durchgesetzt hatte.

Die jüngeren Frauen aus der zweiten Einwanderergeneration, die die gleichen Wertvorstellungen wie gleichaltrige deutsche Frauen haben, was die Vereinbarkeit von Beruf und Familie angeht, sind bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz noch stärker eingeengt auf typische Berufe wie Frisörin, Arzt-und Rechtsanwaltsgehilfin. Oft werden sie nur eingestellt, weil sie als Übersetzerin gebraucht werden. Nur jedes fünfte ausländische Mädchen findet einen Ausbildungsplatz. Gülay Toksöz ist pessimistisch: Wenn das neue Ausländergesetz in Kraft tritt, sind arbeitslose Ausländerinnen noch stärker von Ausweisung bedroht als bisher.

B.D.

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