piwik no script img

Empfängnishilfe

Clock DVA und Lanadrid  ■ B E R L I N E R P L A T T E N T I P S

Als in den Jahren 1982 und 83 der Synthie-Pop das Lager wechselte und vom Underground zum Massengeschmack konvertierte, schienen die Popstrategen dieser Welt den Sieg davonzutragen. Kritiker (Diedrich Diedrichsen) und Techniker/Musiker (Ian Graig und Martyn Ware von Heaven 17) klopften sich wechselseitig auf die Schultern, glaubten sie doch der Massenware Pop Intelligenz und (unter anderem politisches) Bewußtsein eingehaucht zu haben.

Daß das nicht gutgehen konnte und eine Überführung in den Mainstream immer auch eine Trivialisierung des Sujets nach sich zieht, dieser Mechanismus war so logisch wie die Techno -Sounds dieser Popweltverbesserer, und das mußten nicht zuletzt Heaven17 samt ihrer Ideale vom verkäuflichen Pop mit politischem Anspruch schmerzlich erfahren. Von nun an hieß es nicht mehr „We don't need this fascist groove thang“ (Heaven17, 1981), sondern „Relax, don't do it“ (Frankie goes to Hollywood, 1983), und in diesem Moment war eine Band wie Clock DVA eigentlich schon überflüssig geworden.

Die Digitalisierung der Musik hatte sich ihren Weg vom Underground in die Charts erkämpft, und das alte Publikum wandte sich größtenteils ab. Die Entwicklungen in dieser Sparte fanden fortan in großen Studios und Diskotheken statt und brachten uns schließlich Milli Vanilli und Schlimmeres. Für Bands wie Clock DVA, die konsequent jede Kommerzialisierung verweigerten, blieb nur ein Schrebergärtchen, in dem munter weiter alle Arten von Splatter- und Suizid-Blümchen blühen konnten. Bei der letzten Düngung wuchs eine neue Pflanze namens „Buried Dreams“ (Interfish Records), die den Clock-DVA-Anspruch, Cover, Aussage und Musik eine Alptraumeinheit bilden zu lassen, weiter vorantreibt.

„DVA are calculating a new algebra“ (Liner-Notes). Die Mathematisierung der Musik ist bis ins Endstadium fortgeschritten, und so hat diese Platte keine Seele. Und wenn, dann eine negative, eine das Gefühl negierende und die Entpersonalisierung des Subjekts fordernde. Gerade deshalb spürt man in jeder Abspielsekunde die Fähigkeit, Dieter Bohlen und die ganze andere Sippschaft auf Rente schicken zu können. Durchdacht vom Cover (Vergewaltigungsphantasie vor schwarzem Hintergrund) bis zur Wahl der Themen (der Titelsong handelt von der Gräfin Elizabeth Bathory, die um 1600 etwa 1.000 Frauen umbringen ließ) und ihrer akustischen Umsetzung, die Jericho-Bläser, Lustgestöhn, monotones Blubbern und Ich-hier-mit-der-Rasierklinge-an-der-Vene -Gesang vereint. Ein Meisterwerk ganz sicherlich, auch wenn seine Meisterschaft hauptsächlich darin besteht (Mitbewohner formulieren oft kompromißlos), „ein Nichts bombastisch aufzublasen“.

Weit entfernt von solcher Intellektualität und deshalb unproblematischer im Anspruch ist die erste Vinylveröffentlichung der Berliner Straßenjungs Lanadrid, die zwar schon vom Ende des letzten Jahres stammt, aber an dieser Stelle noch nicht gewürdigt wurde. Ihr staubiger Hard Rock fand nicht nur über Geschäftsbeziehungen seinen Weg zum Metal-Label Noise, wo sie sich zwischen Running Wild, Celtic Frost und Kreator in bester Gesellschaft befinden. Allerdings ist ihre Mini-LP „Sister Alley“ nicht so sehr dem Geschwindigkeitsgebolze ihrer Labelkollegen verbunden. Lanadrids Vorliebe ist eher der 70er-Glam-Rock zum Kopfschütteln und Haareschleudern. Bierparties in Hinterhöfen, Herumlungern unter verfallenen Brücken und Erschrecken von unbedarften Schöngeistern zählen anscheinend zu ihren Lieblingsobsessionen.

So bekannt wie dies klingt ihre Musik, doch der Reiz der Straße hat einnehmende Wirkung. Im Sound von „Sister Alley“ steckt der Smog der Großstadtluft. Man bekommt beim Hören den Eindruck, das in dieser Stadt sowieso ständig reibende Kratzen im Hals würde stärker und die Raumluft noch trockener. Dazu gesellt sich ein leicht muffiger Kellergeruch, der immer wieder von Windböen verweht wird, aber doch ständig präsent bleibt. Das Debut von Lanadrid hat diesen ARD/ZDF-Effekt: Sie sitzen in der ersten Reihe, und der Dreck rieselt aus den Boxen. Und genau wie im Fernsehspot stimmt einen das nicht traurig oder panisch, sondern versetzt in freudige Erregung. Hier passiert etwas, zwar nichts bahnbrechend Kopfverdrehendes, aber dafür um so überzeugter und energiegeladen. „Sister Alley“ ist in erster Linie konsequent umgesetzte Klangvorstellung fanatischer Sleaze-Fans. Daß dies die totale Reproduktion gängiger Rockklischees darstellt, beweist nur deren Wirkungspotential. Gelegentlich auftauchende Geschmacksunsicherheiten wie leicht jaulende Gitarrensoli trüben das Gesamtbild nur wenig. Lanadrid sind trockener als Iggies „Instincts“, schwerer als Thin Lizzy und rauher als Slade. Was will man von Straßenrock mehr verlangen? Put some dirt on the glam...

Schwalbe/Winkler

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen