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Die Schlacht bei Trafalgar

Größte Demonstration in Großbritannien seit 1945 endet in Gewalt / Auftakt für den Boykott der gestern in Kraft getretenen Kopfsteuer / Labour-Offizielle distanzieren sich von der Bewegung / Acht Millionen werden nicht zahlen / 40.000 protestieren in Schottland  ■  Aus London Ralf Sotscheck

Die größte Demonstration in Großbritannien seit 1945 endete am Samstag in der größten Straßenschlacht dieses Jahrhunderts. Die Organisatoren von der „Anti-Kopfsteuer -Vereinigung“ hatten eine friedliche Demonstration angekündigt, an der auch Kinder und Behinderte teilnehmen könnten.

Während in Glasgow 40.000 Menschen gegen die Kopfstuer demonstrieren, versammeln sich die ersten Demonstranten bei strahlendem Sonnenschein im Londoner Kennington-Park. Gegen Mittag setzte sich die Menge, die inzwischen auf 150.000 Menschen angewachsen war, langsam in Bewegung. Als der Demonstrationszug die DowningStreet erreichte, hinter derem vergitterten Zugang das Büro der Premierministerin Margaret Thatcher liegt, begannen einige hundert Menschen einen Sitzstreik. Nachdem sie auf das Zureden der Ordner nicht reagierten, griffen Polizisten in Kampfausrüstung ein und versuchten, die Gruppe von den übrigen DemonstrantInnen zu trennen. Während die Hauptdemonstration weiter in Richtung Trafalgar Square zog, entwickelte sich am Rande die erste Straßenschlacht.

Die Veranstalter beschlossen, mit der Abschlußkundgebung zu Füßen der Nelson-Säule zu beginnen, obwohl der letzte Demonstrationsblock den sechs Kilometer entfernten Kennington-Park noch nicht verlassen hatte. Tony Benn vom linken Labour-Flügel griff seine eigene Partei scharf an. Er sagte: „Wenn die Labour-Party und die Gewerkschaften diese Demonstration unterstützt hätten, wären jetzt eine Million Menschen am Trafalgar Square.“ Benn wiederholte seine Aufforderung, die Zahlung der Kopfsteuer zu boykottieren. Eine Umfrage des 'Sunday Correspondent‘ vor acht Tagen hatte ergeben, daß sich 22 Prozent der Bevölkerung dem Zahlungsboykott anschließen wollen. Das sind acht Millionen Menschen - ein Alptraum für die Thatcher-Regierung, die unter diesen Umständen ihr Kopfsteuergesetz begraben kann.

Um 16 Uhr erklärten die Veranstalter die Demonstration eilig für beendet.In der südafrikanischen Botschaft an der Ostseite des Platzes war im Erdgeschoß ein Feuer ausgebrochen. Gleichzeitig gingen am, benachbarten Bürohochhaus ein Dutzend Bauwagen in Flammen auf. Auf Feuerwehr und Polizei ging ein Hagel von Steinen nieder. Die Polizei setzte schließlich 40 Berittene ein, die versuchten, die Demonstration aufzulösen. Die meisten DemonstrantInnen verließen den Platz fluchtartig, zurück blieben etwa 3.000 Menschen, die sich eine erbitterte Schlacht mit der Polizei lieferten. Die Pferde trampelten rücksichtslos auch Unbeteiligte nieder. Mehrere Mannschaftswagen fuhren mit hohem Tempo in die Menge. Über 100 Menschen mußten mit zum Teil schweren Verletzungen in Krankenhäuser eingeliefert werden, darunter 50 Polizisten. Mehr als 300 Peronen wurden von Greiftrupps verhaftet. Ein Student aus Newcastle sagte: „Es schien, als ob die Polizei Spaß an der Sache hatte. Sie griffen uns von zwei Seiten an. Die Menschen gerieten in Panik.“

Zwar gelang es der Polizei am Abend, den Trafalgar Square zu räumen, jedoch zogen Gruppen von DemonstrantInnen durch das vornehme Londoner West End und verwüsteten die Geschäftstraßen. Schaufenster gingen zu Bruch, Läden wurden geplündert. Die Berittenen verfolgten die DemonstrantInnen durch die kleine Seitenstraßen. Ein bizarres Bild: Punks und Skinheads flüchteten gemeinsam mit TheaterbersucherInnen in Abendgaderobe, die ahnungslos in die Straßenschlacht geraten waren.

Die offiziellen Reaktionen am Samstag abend waren eher zurückhaltend. Zwar verurteilte Thatcher die Auschreitungen, aber sie sah diesmal davon ab, die Labour-Party dafür verantwortlich zu machen. Innenminister Waddington beschuldigte 3.000 Hooligans, die Schlacht geplant zu haben. Auch die Labour-Party kritisierte die Gewalt. Der stellvertretende Vorsitzende Roy Hattersley sagte: „Dieser entsetzliche Ausbruch der Gewalt, der das Werk hirnloser Hooligans war, widert mich an.“ Labour hatte sich bereits in der Vergangenheit von der Anti-Kopfsteuer-Vereinigung distanziert. Verschiedene Labour-Politiker, die in der Anti -Kopfsteuer-Bewegung eine prominente Rolle spielen, wurden aus den Parteiämtern entfernt.

Die Zusammenstöße zwischen Polizei und kleinen Gruppen gingen noch bis spät in die Nacht weiter. Erst um Mitternacht herrschte Ruhe in Londons Innenstadt.

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