: Reformökologisches Projekt gescheitert
■ Auf dem Grünen-Parteitag in Hagen erlitten Realos und „Aufbruch“ eine klare Niederlage / Von Gerd Nowakowski
Mit großer Mehrheit vollzogen die Grünen in Hagen die Absage an eine Zusammenarbeit mit der PDS. Auch klärten sie ihre Position in der Deutschlandpolitik. Dann kassierte das Bündnis aus Realos und „Aufbruch“ bei der Abstimmung über die Präambel zum Bundestagswahlprogramm eine schwere Niederlage: Zu groß waren die Zweifel an der Aufrichtigkeit der Realos in der Betonung ihrer radikalökologischen Ausrichtung.
Das Aufeinandertreffen am ersten Abend war bezeichnend für den Verlauf des dreitägigen Parteitags der Grünen: Nach Mitternacht, es lief gerade der Hammelsprung über die Frage einer Zusammenarbeit mit der PDS, steuerten der Vordenker der Linken in der Partei, das Bundesvorstandsmitglied Jürgen Reents, und der hessische Realo Joschka Fischer aufeinander zu - eine zufällige Begegnung, in der die unversöhnliche Frontstellung aufblitzte und an einen westernhaften Show -down erinnerte. Reents warf dem Fraktionschef im hessischen Landtag vor, er spalte die Partei und gefährde mit der Vertreibung der Linken die parlamentarische Existenz der Grünen. Könnte sein, entgegnete Fischer, doch „ohne Veränderung scheitern wir auf jedem Fall“. Die Szene machte zugleich klar, warum die Realos in diesem Moment jedes Gefühl für die Stimmungslage verlassen hatte. Kurz zuvor hatten die Realos und die mit ihnen gemeinsam streitende „Aufbruch„-Strömung ihre Chance verspielt, als integrative Kraft zu wirken und einen Kompromißantrag zu übernehmen.
Wenig später hatten Realos und Aufbruch knapp verloren und alles verspielt. Dabei hatte es zuvor in der Frage der Deutschlandpolitik fast eine Zweidrittelmehrheit für die realpolitische Strömung gegeben, war nach Warnungen der DDR -Vertreter Templin und Heilmann über den Charakter der PDS der Antrag von Reents und seiner Bundesvorstandskollegin Verena Krieger glatt abgebügelt worden; die große Mehrheit wandte sich gegen deren Forderung, die Reformer in der PDS nicht zu „stigmatisieren“, sondern eine „Möglichkeit der Zusammenarbeit an der Gemeinsamkeit in konkreten politischen Anliegen messen“ zu lassen. Doch die Delegierten wollten mit der Absage an die PDS nicht die Ausgrenzung der Linken und der Ideale des menschlichen Sozialismus verstanden wissen; daß dies das wirkliche Anliegen des Bündnisses Realos -Aufbruch sei, diese Angst hatte zuvor Ludger Volmer vom „Linken Forum“ in einer fulminanten Rede zur Sprache gebracht. Realos und Aufbruch konnten und wollten nicht ausräumen, daß dies die strömungspolitische „Entscheidungsschlacht“ sei, wie Volmer sagte. Mit ihrer Unnachgiebigkeit war die Niederlage besiegelt und die Realo -Forderung „Klarheit vor Einheit“ abgeschmettert.
Dabei hatte der Parteitag in Hagen überraschend friedlich begonnen. Entgegen allen Erwartungen nach harschen Kontroversen machten die Delegierten deutlich, daß sie auch angesichts der kommenden Landtagswahlen in NRW und Niedersachsen genau dies nicht wollten. Fast brüsk lehnte es die Mehrheit ab, den Konflikt der Hamburger GAL auf die Tagesordnung zu setzen. Auch eine zeitweilige Besetzung des Podiums von mehreren hundert Roma, die den geschaßten Admiral Schmähling in seiner harschen Kritik an den ungenügenden Abrüstungsbemühungen der Nato unterbrachen, konnte den Ablauf nicht aufheizen. Und selbst die deutschlandpolitische Debatte war ohne Schärfe geblieben.
Primat der Ökologie
Mit dem Verhalten der realpolitischen Strömung an diesem ersten Abend war der Grundstein für alles folgende gelegt: Weder die brillante Rede des Vorstandssprechers Ralf Fücks (Aufbruch) am Samstag noch der Einsatz von Antje Vollmer konnten die Niederlage in der Debatte um eine Präambel zum Bundestagswahlprogramm verhindern. Vollmer sagte, ökologische Probleme zeitigten „schlimmere Folgen als die Klassenherrschaft“ und warf der Parteilinken veraltete Denkmuster vor. Im Hinblick auf Osteuropa erklärte sie, die Linke habe nie geglaubt, daß „über die Demokratiefrage Revolutionen möglich sind“. Fücks forderte, als Kernaufgabe der Grünen das Primat der Ökologie gegen den zerstörerischen Selbstlauf der Ökonomie zu setzen. Für eine „ökologische Zeitenwende“ zu kämpfen, sei ein radikales Projekt, das untrennbar mit der Idee einer demokratischen und zivilen Gesellschaft zusammenhinge. Die drohende ökologische Katastrophe erfordere eine „neue politische Grammatik“, die jenseits der „Ismen des 19.Jahrhunderts buchstabiert werden kann“. Er rief dazu auf, die Grünen müßten „Schmelztiegel“ aller Strömungen, nicht „Konservenbüchse“ für Überkommenes sein. Die Bedeutung der ökologischen Frage stellte die Parteilinke nicht in Frage, wohl aber die Ernsthaftigkeit, mit der Realos und Aufbruch sie betreiben. Verena Krieger fürchtet, daß die Parteilinke über eine „Instrumentalisierung“ des Themas und die Ausblendung der sozialen Frage ausgegrenzt werden soll. Die Radikalität der realpolitischen Strömung höre auf, wo die Interessen der Industrie berührt würden, sagte Krieger. In diesem Sinne äußerte sich auch die Radikalökologin Jutta Ditfurth.
Erneut waren die Zweifel an der Aufrichtigkeit von Realos und Aufbruch entscheidend. Das „raus aus den veralteten Strömungsschützengräben“ (Knapp) glaubte keiner. Zwar fiel wiederum der Entwurf der Parteilinken glatt durch. Doch in der Stichwahl setzte sich der Alternativvorschlag aus der Braunschweiger Provinz mit der herkömmlichen programmatischen Gemengelage durch: In ihm wird ein „radikales Umdenken“ der Produktions- und Lebensweise, „Demokratisierung und Pazifierung aller zwischenmenschlichen Lebensbereiche, Feminisierung der Gesellschaft“ und „multikulturelle Toleranz“ gefordert. Erbittert rannten die Realos gegen die Formulierung an, man lasse sich das „staatliche Gewaltmonopol nicht aufzwingen“, obwohl unmittelbar anschließend eine Absage an die Gewalt der „fliegenden Steine“ folgt. Weiter heißt es, Gewalt sei aber auch „Tiefflug, Wohnungsnot, Arbeitslosigkeit, Armut“. „Staatlicher und sozialer Gewalt setzen wir den moralischen Imperativ entgegen: daß nur eine friedliche, gewaltfreie Gesellschaft eine menschenwürdige Gesellschaft ist“. Enthalten ist auch eine Betonung „neuer kultureller Lebensformen“ - von der „Öko-Kommune bis zur Hamburger Hafenstraße“.
„Auf zum Ende“
Ernstgenommen hatte den Antrag vorher keiner; mancher Realo griff erst nach der Abstimmungsniederlage zum ersten Mal dazu. Doch er entsprach der grünen Seele, und die Mehrheit dafür war mehr als nur der Wunsch nach ausgleichender Gerechtigkeit, daß die Niederlage der Linken den Realos nicht zum Triumph gereichen sollte. „Dürftig“ sei der Antrag der Linken. Doch die Realos machten sich der „programmatischen Vereinseitigung schuldig“, hatte es in der Begründung des Braunschweiger Antrags geheißen. Es war auch die Sprache, die die Delegierten überzeugte. „Wir Grüne haben nicht das Zauberpulver, das um die Ecke schießt“, wird darin mit sympathischer Ehrlichkeit eingeräumt: „Wir sind nicht die besseren Menschen und haben nicht auf alle Fragen eine Antwort parat.“
Nach der erneuten Niederlage herrschte bei Realos und Aufbruch Verbitterung. Kurzzeitig zog man aus, am Samstag abend traf man sich, um das weitere Verhalten zu bereden. „Auf zum Ende“, wertete ein resignierter Udo Knapp die Niederlage, und Fischer sekundierte: „Das ist die Entscheidung für den Stillstand.“ Als „Wagenburg einer vergangenen Zeit, die in der Wüste der Geschichte“ zurückbleibt, charakterisierte der gefrustete Hesse Dietrich Wetzel das Ergebnis. „Leben“ könne man damit, rief Fischer später den Delegierten zu und bezweifelte zugleich, ob man damit „überleben“ kann. Entscheidend werde der Parteitag im Juni sein: Dort steht die Neuwahl des Bundesvorstands auf dem Programm. Verliere man auch dort, dann werden viele Realos die Partei verlassen, mutmaßte einer. Prominente Aufbruch-Vertreter aber überlegten im Stillen, ob nicht das Bündnis von Realos und Aufbruch ein Fehler war; das Mißtrauen gegen die neue machtpolitische Konstellation sei vielleicht doch zu groß. Die Präambel, so war sich einer sicher, hätte man allein wohl durchbekommen.
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