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Beim Geld hört die Freundschaft auf

■ Der vom Zentralbankrat vorgeschlagene Umtausch 2:1 löst in der DDR Empörung und Enttäuschung aus

„Kommt die D-Mark, bleib'n wir hier - kommt sie nicht, gehn wir zu ihr“ - unter dieser Parole drohten noch vor wenigen Wochen in Leipzig Montagsdemonstranten ihre Übersiedlung an. Nun soll sie also kommen, allerdings zu einem Preis, der in der DDR helles Entsetzen auslöst. Wird die DDR zum Billiglohnland? Werden die Rentner unter die Armutsgrenze gestoßen? Es zeichnet sich ein böses Erwachen ab.

Hat er nun vor der Wahl eins zu eins versprochen hin hat er nun zwei zu eins verkündet her: Tatsache ist, daß Bundeskanzler Kohl mit seiner Mannschaft in der DDR so glaubwürdig den Eindruck erweckt hat, er könne aus einer Alumark eine harte D-Mark in der Lohntüte zaubern, daß nun sogar sein Ost-Parteifreund Lothar de Maiziere zürnt. Das ist bewußter Wählerbetrug.

Tatsache ist aber auch, daß darauf nur diejenigen hereinfallen konnten, die da meinten, die Bundesregierung könne in Fortsetzung früherer DDR-Politik auch in einer marktwirtschaftlichen DDR die Löhne bestimmen. Und obwohl sie es eigentlich besser wissen müßte, tutet die SPD -Währungsexpertin Ingrid Matthäus-Maier ins selbe Horn, wenn sie nun den Vorwurf erhebt, die Bundesregierung wolle aus der DDR ein Billiglohnland zum Vergnügen für bundesdeutsche Unternehmen formen. Es ist der Vorwurf unverhohlener Unterstützung für die bundesdeutsche Industrie. Die Freunde der schnellen Zuordnung seien hier jedoch bereits gewarnt: Der wirtschaftswissenschaftliche Brain-Trust des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW), war in den vergangenen Wochen stets einer der großen Vorkämpfer für einen Umtauschkurs von 1:1. Aus der Sicht der bundesdeutschen Industrie macht das durchaus Sinn: Je höher die Löhne in der DDR, um so geringer die Gefahr, daß sich Kombinate und anderes ehemals Volkseigenes plötzlich zu mißliebigen Konkurrenten mausern. Auch darum geht es nun, wenn der Beschluß der Bundesbank unter der Führung ihres sozialdemokratischen Präsidenten Hans Otto Pöhl interpretiert werden soll.

Der Vergleich mit dem klassischen Billiglohnland, welches Matthäus-Maier nun ihrem Parteifreund Pöhl als Ziel unterstellt, hinkt in mehrfacher Hinsicht. Jene Dritte-Welt -Staaten spucken ja aufgrund eines eklatanten Mißverhältnisses aus hoher Produktivität und niedrigsten Löhnen in bestimmten Branchen gewaltige Extraprofite aus. Wer wollte aber behaupten, daß den maroden Kombinaten ausgerechnet am Tag X, der Einführung der D-Mark, diese Extraprofite winken? Sie haben vielmehr mit der Frage zu kämpfen, woher sie überhaupt Devisen erwirtschaften sollen, um für zwei Ostmark auch nur eine Westmark in die Lohntüten abfüllen zu können. Viele wissen noch nicht, wo sie ihre Produkte losschlagen sollen.

Die simple Umwandlung in Kapitalgesellschaften mag zwar finanzielle Potenz suggerieren, schafft aber erst mal keine auch noch so müde D-Mark heran. Sollen möglichst alle DDR -Betriebe noch den Abend des Tages X erleben, so macht das Verhältnis von 1:2 für die Ausgangsverhandlungen der Lohnfindung durchaus Sinn. Eine im deutsch-deutschen Vergleich gerechte Lohnhöhe nutzt dann nämlich nichts, wenn der Arbeitsplatz weg ist. Dann ist der Lohn auf Null. Dies verhält sich so ähnlich wie das schön und gerecht klingende Recht auf Arbeit, wenn kein Betrieb bereit ist einzustellen.

In anderer Hinsicht unterscheidet sich die DDR vom gemeinen Billiglohnland durchaus positiv. In aller Regel zeichnen sich jene Entwicklungsländer nämlich durch eine mehr oder minder starke Unterdrückung der Vertretung von Arbeitnehmerinteressen aus. In den letzten Monaten hat sich dagegen in der DDR ein gehöriges Widerstandspotential gezeigt, dessen Freiräume heute weit größer sind als in den Ländern von Chile bis Malaysia. Auf betrieblicher Ebene fehlt hier zwar jedwede Erfahrung. Aber in dieser Hinsicht würde eine tatkräftige Unterstützung seitens der west -deutschen Gewerkschaften auf fruchtbaren Boden stoßen. Sie wäre auf jeden Fall dringlicher als ein pauschales Lamento über ein zu niedrig angesetztes Umtauschverhältnis von 1:2, das jetzt vom DGB zu hören war.

Eines ist klar: Spätestens am TagX wird der heiße Lohnsommer oder -herbst eingeläutet. Wo ist da etwas zu hören von den Vorbereitungen und vor allem der Unterstützung durch die hiesigen Gewerkschaften. Jetzt müssen die Lohnkämpfe aufgenommen werden. Die Umrechnung von 1:2 heißt ja nicht, daß nicht noch am selben Tag in denjenigen Betrieben doppelte und dreifache Löhne vereinbart werden können, die sich das erlauben können. Wenn dann diejenigen Kombinatsmoloche oder kleinen Klitschen, die dazu nicht in der Lage sind, aufgrund eines Massenexodus ihrer Beschäftigten Konkurs anmelden müssen, so sollte das für die Arbeitnehmer allemal angenehmer sein, als wenn sie die Pleite im Betrieb aufgrund unbezahlbarer Löhne noch selbst miterleben müssen.

Aller Voraussicht nach werden es vor allem die mittelständischen und kleineren Betriebe sein, die die Fähigkeit zu höheren Löhnen aufbringen werden. Die haben schließlich auch heute schon die größte Erfahrung im Umgang mit D-Mark im Vergleich zu ihrem Geschäftsvolumen. Sollte dadurch in der hochkonzentrierten DDR-Wirtschaft ein Entflechtungsprozeß eingeleitet werden, so wäre das nicht das Schlechteste.

Wer höhere Löhne für die DDR-Betriebe fordert, muß sagen, woher sie bezahlt werden sollen. Nur auf Zuschüsse aus der Bonner Bundeskasse zu verweisen ist ein bißchen wenig. Pauschale Lohnzuschüsse aus der öffentlichen Kasse nach Gießkannenart, wie sie sich als Konsequenz aus der 1:1 -Forderung direkt ergäben, können wohl kaum ernsthaft gefordert werden. Schließlich würden dann auch jene Betriebe gefördert, die allein durch gewerkschaftlichen Druck zu höheren Leistungen fähig wären. Besser wären allemal Hilfen zur Umstrukturierung der unsäglichen Kombinatsstruktur in zweistelliger Milliardenhöhe. Und selbstverständlich muß sofort die gesamte DDR zum mietergeschützten Schwarzen Kreis erklärt werden. Dringend notwendige Mieterhöhungen müssen durch Wohngeld aufgefangen werden. Dabei geht es allerdings nicht um Lohnsubventionen, sondern ums Feilschen von Bundeszuschüssen. Und die können beim Kurs von 1:1 oder 1:100 fließen.

Eines müssen sich auch all jene, die sofort alle Löhne 1:1 umstellen wollen, fragen: Wo bleibt die von den Gewerkschaften so hochgehaltene Tarifautonomie, wenn die Bundesregierung jetzt über die Festlegung eines bestimmmten Kurses eine bestimmte Lohnhöhe in allen Betrieben garantieren soll?

Ulli Kulke

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