: Landsbergis zu Referendum bereit
■ Fehlende Unterstützung des Westens und ökonomischer Druck aus Moskau taten ihre Wirkung / Moskau verabschiedet das Sezessionsgesetz, das den Austritt aus der Union regeln soll: Zweidrittelmehrheit erforderlich
Moskau/Vilnius (afp/taz) - Die Nationalitätenkammer des Obersten Sowjet hat am Dienstag in zweiter Lesung ein Gesetz über den Austritt aus der Union verabschiedet und damit den Weg vorgezeichnet, den nach sowjetischer Rechtsansicht Litauen beschreiten muß, um die Unabhängigkeit zu erlangen. Das Gesetz schreibt eine Volksabstimmung vor, die eine Zweidrittelmehrheit für den Austritt erbringen muß, eine Zwischenphase von fünf Jahren, in der alle ökonomischen Fragen einvernehmlich geregelt werden müssen, und danach ein zweites Referendum. In dieser zweiten Abstimmung können auch einzelne Regionen der entsprechenden Sowjetrepublik sich dafür entscheiden, bei der Union zu bleiben. Bis jetzt haben sich das litauische Parlament und Präsident Landsbergis geweigert, nach einer solchen Prozedur zu verfahren, da sie die fortbestehende Zugehörigkeit Litauens zur Sowjetunion anerkenne.
Jetzt hat Landsbergis erstmals gegenüber 'Liberation‘ zu erkennen gegeben, daß er zu einer Volksabstimmung bereit sei; er beharrte jedoch darauf, daß „kein Referendum die Entscheidungen des litauischen Parlaments in Frage stellen kann“. Damit kann die Auseinandersetzung über eine für beide Seiten annehmbare Formulierung der Referendumsfrage beginnen.
Ein weiteres schwieriges Verhandlungsfeld wird das Problem bilden, daß Litauen seine Unabhängigkeit für unmittelbar wirksam, aber bislang durch die Sowjetunion für eingeschränkt hält, während die Sowjetunion die volle Souveränität über Litauen behauptet und nur in deren Rahmen eine schrittweise Übertragung von Souveränitätsrechten für möglich hält. Für das partielle Einlenken von Landsbergis war sicher die schwache Unterstützung des Westens ebenso ausschlaggebend wie der massive ökonomische Druck der Moskauer Zentrale. Während Litauen seine Lieferverpflichtungen gegenüber der SU bislang erfüllt habe, sei aus der Sowjetunion in den vergangenen Monaten 40 Prozent weniger Erze, Kohle und Öl geliefert worden als vereinbart, sagte Landsbergis in einem Interview mit der 'Jungen Welt‘ (DDR).
Auch sonst zeigen sich die sowjetischen Behörden nicht von der feinsten Seite: Sie verboten das Erscheinen mehrerer litauischer Zeitungen. In der Druckerei der KP Litauens mit Waffengewalt unter die Kontrolle der moskautreuen Kommunisten gebracht - soll künftig nur noch das prosowjetische 'Litauer Echo‘ hergestellt werden. Drucker und Journalisten haben sich dem widersetzt. Sie rechnen jetzt mit der Einstellung der Papierlieferungen.
Die Sowjetunion hat gestern früh den visafreien Besuchsverkehr zwischen Litauen und Polen unterbrochen ohne vorhergehende Beratung mit den Polen.
C.S.
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