: DDR-SPD schluckt DSU-Kröte
Verhandlungen mit Allianz und Liberalen über große Koalition begonnen / Vorbehalte gegen DSU abgelegt ■ Von Klaus Wolschner
Ost-Berlin (taz) - In Ost-Berlin haben gestern Koalitionsverhandlungen zwischen SPD, Liberalen und allen Parteien der konservativen „Allianz für Deutschland“ begonnen. Zuvor hatten in der Nacht zum Dienstag SPD -Präsidium und Fraktionsvorstand den lange erwarteten Beschluß gefaßt: Die SPD will sich an der neuen DDR -Regierung beteiligen, ohne an ihrer bisherigen zentralen Bedingung festzuhalten. Noch kurz vor der entscheidenden Sitzung hatte der Parteivorstand die Wahlerklärung, eine Koalition sei nur ohne DSU möglich, erneuert. Welche Überlegungen dann doch zu einer anderen Entscheidung geführt haben, wollten der amtierende Fraktionsvorsitzende Richard Schröder und der Parteivorsitzende Markus Meckel nicht verraten. Mit der neuerlichen Kehrtwende war der Weg frei für förmliche Koalitionsverhandlungen zwischen den Parteien der Allianz (CDU, DSU, DA), Liberalen und der SPD, die denn auch gestern nachmittag in Ost-Berlin aufgenommen wurden.
SPD-Fraktionschef Schröder wies zuvor darauf hin, daß die CDU erklärt habe, sie wolle Politik im Interesse der Bürger der DDR machen. Dabei wolle die SPD helfen. Die Aussage de Maizieres, er wisse nichts von einem Umtauschkurs zwei zu eins und er mache da auch nicht mit, habe für die SPD eine Rolle gespielt. Es gehe nicht an, daß Bonn die DDR mit einem „aufgeregten und ratlosen Volk alleinlasse“. Die Partei wolle versuchen, daß das Land „aufrechtstehend in die Einigung gehen könne und ihm nicht gesagt werde: 'Nun geh mal in die Knie.'“
Den Vorgang vom Ende vergangener Woche, als die Frage des Umtauschkurses bei der Währungsunion von der Bundesbank und dem BRD-Finanzminister Waigel praktisch entschieden wurde, bevor die neue DDR-Regierung handlungsfähig ist und ohne die DDR-CDU auch nur zu konsultieren, nannte Schröder „ein dolles Ding“. Wichtig für die SPD sei, daß bei Beratungen der DDR-Regierung nicht „von der ersten Pause an“ das Bonner Adenauer-Haus oder die Münchener CSU ständig präsent sei. Bei dem Gedanken, daß die „SED-PDS“ bei einer großen Koalition die einzige große Oppositionspartei sei, „ist uns nicht wohl“, räumte Schröder ein. Aber die Alternative sei ein Zustand, in dem eine SPD in der Opposition von der PDS „dauernd von hinten umarmt“ Fortsetzung auf Seite 2
werde; „diese Nähe ist uns auch nicht lieb“. Die Fraktion wählte den Mathematik-Professor Richard Schröder gestern mittag zu ihrem neuen Fraktionsvorsitzenden.
Über personelle Ansprüche in der Regierung wollten die beiden SPD-Politiker Meckel und Schröder nicht reden.
Interessant seien das Ressort Arbeit/Soziales und das Außenministerium, meinte Meckel. Für letzteres Amt werden Meckel selbst Am
bition nachgesagt. Die SPD will zudem sichern, daß mit der Ausländerfrage „sensibel umgegangen“ wird.
Klare Bedingungen für eine Zusammenarbeit mit der DSU hat die SPD nicht formuliert. Wenn er die Ministerien durchgehe, so meinte Schröder nur, komme er nicht an den Punkt, „wo wir sagen, ja, das wäre gut, wenn die DSU das machen würde“.
Insbesondere die Besetzung des Innenministeriums, das die DSU ebenso wie die SPD für sich reklamiert, könne man sich mit einem DSUler „nicht gut vorstellen“. DSU-Chef Ebeling hatte im Fernsehen von einer Entschuldigung für Wahlkampf -Beschimpfungen gesprochen. Eine solche Entschuldigung könnte hilfreich sein, meinte Meckel, allerdings habe die SPD bisher nur über die Medien von dieser Absicht erfahren.
Auch die SPD hält eine Regierungsbildung noch bis Ostern für möglich.
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