Neue Strategie gegen die Balten?

■ In Washington betont Schewardnadse bei der Vorbereitung eines Gipfeltreffens Dialogbereitschaft

Berlin (dpa/taz) - Litauen wird bei dem nächsten amerikanisch-sowjetischen Gipfeltreffen einen wichtigen Punkt der Tagesordnung darstellen. Am Rande des Außenministertreffens der beiden Staaten in Washington wurde auch bekannt, daß der militärische Status Deutschlands bei dem Gipfeltreffen, das vom 30. Mai bis 3. Juni stattfinden wird, beraten werde. Weiterhin soll über regionale Konflikte, die Verwirklichung der Menschenrechte und die wirtschaftliche Zusammenarbeit beider Länder geredet werden.

Nachdem die litauische Führung in einem spektakulären Schritt am Mittwoch abend einwilligte, in wesentliche Punkten Moskau nachzugeben - so sollen die Forderungen nach sowjetischer Militärpräsenz und nach einer Volksabstimmung über den Status der Republik erfüllt werden - betonte Eduard Schewardnadse die Dialogbereitschaft seiner Regierung. Der sowjetische Außenminister, der am Dienstag in Washington eintraf und am Freitag von Präsident George Bush empfangen werden soll, betonte, die Sowjetunion werde den Konflikt mit Litauen friedlich und keinesfalls mit Gewalt lösen. Schewardnadse bestritt jegliche Gewaltanwendung sowjetischer Truppen auf dem Territorium Litauens. Die bisherigen Maßnahmen bewegten sich im Rahmen der „Wiederherstellung der Ordnung“. Die Sowjetunion könne die einseitige Unabhängigkeitserklärung Litauens nicht anerkennen. Die Unabhängigkeit könne nur im Rahmen der sowjetischen Verfassung realisiert werden. Unterdessen wächst der Druck auf Bush, in der Litauen-Frage eine entschlossenere Haltung einzunehmen. Mit überwältigender Mehrheit verabschiedete nach dem Senat auch das Repräsentantenhaus eine Entschließung, in der der Präsident aufgefordert wird, die Unabhängigkeitsbestrebungen der Baltenrepublik stärker zu unterstützen.

Am Mittwoch forderte Michail Gorbatschow die Unionsrepublik Estland auf, die von ihrem Parlament beschlossene Resolution für die Unabhängigkeit des Landes für null und nichtig zu erklären. Der estnische Präsident Arnold Rüütel, der am Mittwoch mit Gorbatschow telefonierte, sagte danach im Rundfunk, Gorbatschow sei sehr erbost über die Erklärung gewesen und habe mit Maßnahmen wie in Litauen gedroht. Dabei hatte das estnische Parlament am letzten Wochenende im Gegensatz zu Litauen eine Übergangszeit für die Unabhängigkeit und Verhandlungen mit Moskau eingeplant. Angesichts der sich verschärfenden Maßnahmen gegen Litauen bot das Parlament Estlands in einer Resolution, die mit 71 gegen 22 Stimmen verabschiedet wurde, Litauen seine Unterstützung an. Der „militärische Druck von sowjetischer Seite“ müsse „unverzüglich eingestellt werden“, hieß es in Tallin.

Auch gegenüber Lettland, dessen Oberster Sowjet voraussichtlich am 15. April eine Unabhängigkeitserklärung verabschieden möchte, hat die sowjetische Führung härtere Töne angeschlagen. Bei einem Treffen mit der Kommunistischen Partei Lettlands am Mittwoch ist es zu scharfen Auseinandersetzungen gekommen. Offensichtlich steht die lettische Partei vor der Spaltung in eine nationalkommunistische und in eine Moskau-treue Partei, die schon auf dem Parteitag, der heute in Riga beginnt, erfolgen könnte.

In allen drei baltischen Staaten zeichnet sich eine neue Strategie der sowjetischen Intervention in die Innenpolitik ab. „Mit Hilfe der Armee wird eine Gruppe von Anhängern unterstützt, die die alten Strukturen des sowjetischen Regierungssystems wieder einführen und die Regierung stürzen wollen“, klagten litauische Parlamentarier. Obwohl ein Teil der russischen Minderheiten die Volksfronten in diesen Ländern mit ihrer Stimme bei den Wahlen unterstützt habe, stelle ein anderer Teil die Basis für eine solche Strategie dar.

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