: Die modische F Finsternis
■ In schwarzen Jeans älterer Machart und einem Sweat-Shirt genannten Etwas mit ein paar handvernähten Pailletten verziert, flitzte die Reporterin auf Turnschuhen durch die Redaktionsräume von Berlins einziger Überregionaler - und fand nur Düsteres.
Aus der taz berichtet
EVA SCHWEITZER.
a, gegen die haben wir doch eine ganze Reihe von Sanktionsmöglichkeiten“, sagt der nicht mehr ganz junge Mann aus der Wirtschaftsredaktion mit der schwarz-grauen Beutelhose, den schmutzigen, ausgelatschten Turnschuhen, dem fahlen Blouson und dem schreiend gelben T-Shirt zu seinem Kollegen mit einem drohenden Blick in meine Richtung. Zähneknirschend beuge ich mich dem Diktat, seinen Namen nicht zu nennen - sonst sei es Essig mit weiteren Aufträgen. Sein Kollege Ulli K. versucht es auf die nette Tour und guckt besorgt an seinen abgeschabten Jeans herunter. „Gerade heute habe ich gedacht, jetzt ziehst du dich mal lässig an sonst bin ich nämlich besser gekleidet“, sagt er.
Modische Kleidung in der taz - ein düsteres Kapitel im Wortsinn: Zwei Drittel aller tazlerInnen sind schwarz gekleidet. Schwarz von oben bis unten. Möglicherweise da ein hervorlugender Kragen in weiß oder dort ein Gürtel in rot, ansonsten Bonjour Tristesse. Hier eine autonome Hochburg zu finden, hätte ich nie erwartet. „Mit Politik kann das nichts zu tun haben, sonst würden wir hier Kleider in geschmacklos bonbonfarbenen Tupfen tragen“, meint eine schwarzgewandete Frau aus der Auslandsredaktion, die anonym bleiben will. Außerdem kleiden sich ausgerechnet die letzten autonomen Überbleibsel des längst in pluralistische Dekadenz verfallenen Projekts nicht in schwarz - nämlich Aboabteilung und Kantine: Während bei ersteren Jeans-und-karierte-Hemden -Langeweile angesagt ist, trägt man in der Kantine vorzugsweise rote Lederhosen und lange Haare, uns allen aus den leckeren Gerichten aus Naturreis mit Schwarzbrot und Grünkernbratlingen in Tofusoße in Erinnerung.
Hingegen die Inlandsredaktion im dritten Stock: Fünf Frauen, davon vier so schwarz wie ein sächsischer Provinzpolitiker, stehen um eine alte Zeitung herum und gucken düster. „Heute ist ja auch Montag“, sagt eine. Auf dem Flur sitzt eine freie Mitarbeiterin in schwarzen Strumpfhosen, schwarzer Jacke und schwarzer Perlenkette und liest. Ein schwarzgewandeter Max M. erklärt einem schwarz -weiß getupftem Michael R., wie der den Artikel einer Kollegin - in schwarz, bis auf die Strümpfe - redigieren soll. Als politisch angeglichener Farbtupfer leuchtet lediglich Redakteurin Vera G. aus dem Dunkel hervor: Sie ist vorzugsweise in Grün gewandet.
m vierten Stock ist nur noch jeder Zweite nachtfarben. „Schwarz steht mir einfach“, meint Hans-Hermann K., schönster Mann der Lokalredaktion (bei der Auswahl dort allerdings kein Kunststück). Zu schwarzen Hosen trägt Hans -Hermann grüne Hemden, blaue Augen und blonde Naturlocken. „Ich bin eitel bis zum Anschlag“, gesteht er freimütig. Lokalchef Thomas K. gehört hingegen zur Jeans- und Bunthemdenfraktion. „Bei dem Gehalt hier kann ich mir nichts anderes leisten“, meint er. Immerhin trage er eine „Edwin„ -Jeans, wenn auch vom Trödel. „Da stehen alle Teenies drauf“, erklärt er seiner besten freien Mitarbeiterin, die bislang „Mustang“ für die angesagte Marke gehalten hat. Die Turnschuhe habe ihm sein Vater gekauft, fügt er ungefragt hinzu. „Erst wollte er mir das Geld in bar geben, aber dann dachte er, das versaufe ich nur.“
Nicht in seinem berühmten Trenchcoat - übrigens die absolut einzige Ähnlichkeit mit Inspektor Columbo - sondern in einer ganz gewöhnlichen Jacke sitzt der neue Lokalchef Raul G. an seinem Schreibtisch. Nein, der Kleiderwechsel hänge nicht mit dem Wechsel aus der Aktuellenredaktion zusammen, heute sei ihm kalt. „Ich kämpfe auch in dieser Redaktion um den Titel des am besten angezogenen Mannes“, sagt er tapfer. Hier sei das schwieriger als bei den Aktuellen, denn die seien ja alle so langweilig gekleidet, außerdem verdiene man zuwenig bei der taz, klagt er weiter. Vielleicht sponsore ihn demnächst eine Modefirma, er sei gerne bereit, die Begriffe „Lagerfeld“ oder „Fiorucci“ ab und zu in seinen Artikeln unterzubringen, wenn das etwas nütze („Auf einem Lagerfeld will der italienische Architekt Fiorucci mit viel Esprit ein Kaufhaus für C&A errichten - La Costes betragen drei Millionen“ - macht 165,50 DM für den Schreiber?), oder der Betrieb solle etwas springen lassen.
er Michael aus dem Layout ist wirklich geschmacklos gekleidet“, ermuntert mich Hans-Hermann zu weiteren Recherchen. Einen Raum weiter läuft mir ein aus der Müslibewegung übriggebliebener Softie über den Weg: Rosa Schuhe, gelbe Hose, buntes Hemd, roter Stern an der grünen Jacke und den Gürtel in Pastellblau. „Du mußt der Michael sein“, rate ich. Ja, und der Michael wird auch diesen Artikel layouten, über schwarze Balken braucht sich also niemand zu wundern.
Noch bunter ist Dagie, ebenfalls vom Layout: Drei Farben auf den Augenlidern, zwei auf den Fingernägeln und eine lila Plastikhose („Popstarhose!“), „Selbergenäht, mehr kann man sich bei dem Gehalt auch nicht leisten.“ Irgendwie scheint es hier eine Finanzkrise zu geben. Ich solle mir mal den Uli vom Satz angucken, sagt Dagie. „Der besitzt nur eine einzige Jeans und ein einziges kariertes Hemd, die trägt er, bis sie kaputt sind, und dann kauft er sich genau die gleichen Sachen wieder“, sagt sie. Selten haben mir soviele hilfsbereite Menschen bei meinen Recherchen geholfen.
Ebenfalls eine bunte Oase ist Redakteurin Petra D., heute ungewöhnlich schlicht in schwarzen (!) Jeans und blauem Pulli. Die schicken Kleider, die in ihrem Schrank dumm rumhängen, seien viel zu schade für die Zeitung, man käme sich damit direkt overdressed vor, ein Stück weit. Außerdem sei nichts anderes griffbereit gewesen heute morgen, zum Wäschewaschen komme man bei dem Job ja auch nicht mehr. Immerhin trägt sie einen türkisfarbenen, silberbeschlagenen Schlangenledergürtel „aus der Zeit vor dem Washingtoner Artenschutzabkommen und dem mickrigen taz-Einheitslohn“.
pätestens in diesem Stockwerk, dem sechsten, kann die Reporterin nicht umhin, eine weitere Gemeinsamkeit der Modemuffel aus der Kochstraße zu erkennen: Sie tragen fast alle Turnschuhe. Dafür findet sich rasch eine Erklärung: „Wir brauchen die Turnschuhe zum Laufen, weil der Aufzug nie kommt“, sagt Sigrid D. aus der Dokumentation. Der Aufzug muß aus den dreißiger Jahren des vorvorletzten Jahrhunderts stammen, hat keine Automatik zur Feststellung, wer ihn rief und fährt deshalb meistens an einem vorbei. „Eine Automatik für den Aufzug?“ sagt Kalle R. aus dem fünften Stock empört. „Das ist viel zu teuer.“ Kalle R. ist seines Zeichens Geschäftsführer der zahllosen Abschreibungsgesellschaften, die sich um die taz ranken und umgekehrt (ich verweise auf die genauso zahllosen Gegendarstellungen zur „Report -Sendung“ vorletzten Dienstag).
Kalle trägt eine ausgebeulte schwarze Kordhose, die meine Mutter sofort auf den Müll werfen würde, einen schwarzen Pullover und ein schwarzes Hemd. „Ich trage Trauer, weil wir so wenig verdienen“, sagt Kalle. Sehr originell. Was er davon halte, vom Betrieb aus subventionierte Kleider zu bestellen, gebe ich Rauls Anregung weiter. „Wie, Kleider nach Nicaragua?“ fragt Kalle. Nein, nicht nach Nicaragua schicken, sondern in Rom, Paris, Mailand bestellen. „Nein, das kostet nur unnötig Geld, das sieht man ja bei den Betrieben im Osten. Oder bei unserer Kantine, da wäre es auch billiger, die Mitarbeiter brächten Stullen von Zuhause mit.“ Was ich wohl glaubte, was Grünkernbratlinge und Tofusoße kosteten? Aber kommen wir wieder zur Mode.
arum also die vielen Schwarzgewandeten hier, wenn nicht aus politischen Gründen? Eine Erklärung liefert mir Thomas von La Vie (schwarze Schuhe, schwarze Hose, schwarzes Hemd, schwarzer Pullover, schwarzes Haar, schwarzes Brillengestell und - igitt - braune Socken, die seine Eltern, entschuldigt er sich, per Care-Paket schicken). „Ich komme grundsätzlich mit Farben nicht zurecht“, sagt Thomas. An den Finanzen liege sein Outfit nicht. „Ich verdiene Geld wie Heu, aber ich arbeite so viel, daß ich keine Zeit habe, es auszugeben.“ Aha.
Vielleicht strahlt ja die Arbeit in der taz aufs Äußere aus: Schwarz-weiß drucken, setzen, reproduzieren, schreiben und denken, das hat wohl mehr Auswirkungen auf die Persönlichkeit als mancher ahnt, fällt mir beim Anblick des Ökoredakteurs aus der Lokalredaktion ein, der ebenfalls von den Schuhen über die Jeans bis zum Pulli in schwarz gehüllt ist. „Nein, daran liegt es nicht“, sagt er, und politische Gründe habe sein Äußeres auch nicht, „sonst müßte ich ja Blau-Gelb tragen.“ Was ist dann der Grund? „Ich trage schwarz“, rückt Hans-Martin schließlich heraus, „weil das schlank macht.“ Ja dann - wenn das ganze Geld fürs Essen draufgeht, bleibt für die Mode natürlich nichts übrig.
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