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Die Brandenburger sind sauer auf Bonn

Auch in der Provinz gingen Tausende gegen den Umtauschkurs 1:1 auf die Straße / In Brandenburg wurde die Kundgebung zur Generalabrechnung mit der Bundesregierung / Demonstrationen auch in Ost-Berlin, Dresden, Leipzig und anderen Städten  ■  Von Klaus Hillenbrand

Brandenburg (taz) - Zwischen Kuchenbuffet und CDU-Wimpel ist die Währungsunion im Cafe Roland in Brandenburg schon entschieden. Besitzer Alfred Löffler bittet die westdeutschen Gäste auf einer Papptafel freundlich, doch wegen der hohen eigenen Kosten die Rechnung in D-Mark zu begleichen. Während drinnen die Kasse klingelt, haben sich um 17 Uhr vor dem Schaufenster einige tausend Einwohner der Stadt versammelt, um 1:1 in der eigenen Brieftasche zu fordern. Auf dem Demonstrationszug vom Puschkin-Platz gibt keine Plakate, Spruchbänder oder Sprechchöre. Doch das ist auch gar nicht nötig. Die Forderung nach 1:1 ist auf dem Platz unumstritten und eint über alle Parteigrenzen hinaus. Alle Redner verlangen nach ihr.

Die Kundgebung wird zu einer Generalabrechnung der Brandenburger „mit den Herren in den dicken Ledersesseln in Bonn“ (Neues Forum), gegen 1:2, sozialen Ausverkauf und Stasi-Amnestie gleichermaßen. Man fühle sich verdummt, von einer bisher unbekannten Wahltaktik überrollt. „Ich habe selber die CDU gewählt“, meint die Arbeiterin Elke Dolter, die mit ihrem Mann zur Demonstration gekommen ist. „Aber damit haben wir nicht gerechnet. Jetzt ist mir zum Heulen.“ „Wir verdienen ja nur ein Drittel von dem im Westen“, empört sich Helga Milde. „Und davon wollen sie uns jetzt nur noch die Hälfte geben? Dann sind nachher die Schaufenster voll, und wir können uns nichts kaufen.“ Der Vorsitzende der IG Metall des Stahl- und Walzwerkes Brandenburg (7.000 Beschäftigte) warnt vor einem Ausverkauf: „Kooperieren, Zusammenarbeiten, Unternehmensbeteiligungen, dazu sagen wir ja. Aber nicht dazu, die Betriebe auf einem Silbertablett zu servieren.“

Kuno Pagel vom Neuen Forum befürchtet, daß die Bewohner der DDR vom „DM-Zug überrollt werden“. Und er fragt: „Sind wir mit einmal nicht mehr Schwestern und Brüder?“ Die Entscheidungen müßten zusammen mit den DDR-Bürgern getroffen werden, auch bei der Vergangenheitsbewältigung. „Ich kann mich noch sehr genau erinnern, wie im Westen gegen die Stasi geredet wurde. Und nun kommen von dort Vorschläge, eine Generalamnestie zu erlassen. So kann ein Neuanfang nicht aussehen.“ Donnernden Applaus gab es für seinen Schlußsatz: „Herr Kohl, ein paar Entscheidungen überlassen Sie bitte uns.“

„Ihr wolltet den totalen Kohl - jetzt habt ihr den Salat“

Auch in Ost-Berlin gingen schätzungsweise 100.000 Menschen auf die Straße. Die Flaniermeile zwischen Alex und Palast der Republik war schwarz vor Menschen. Viele führten DDR -Fahnen mit. Es war die größte Demo seit November, und es waren andere Menschen als die, die damals auf die Straße gingen: die Enttäuschten und Verbitterten, viele Rentner sind dabei, viele Mütter mit Kleinkindern - all jene, die sich Sorgen um ihre Zukunft machen müssen. Die FDGB -Vorsitzende Helga Mausch kündigte an, daß es zu einem Generalstreik komme, falls bei der kommenden Währungsunion zwischen beiden deutschen Staten nicht 1:1 getauscht werde. Und: „Wir sind ein blödes Volk!“ befand die Rednerin der Vereinigten Linken.

In Dresden demonstrierten 70.000 Menschen, in Leipzig 50.000, weitere Zehntausende in Cottbus, Rostock, Halle, Magdeburg und Gera.

In Leipzig verwahrten sich viele Redner dagegen, den künftigen Ostteil Deutschlands zu einem Billiglohnland zu machen. Hier hieß es auf Spruchbändern: „Wir löffeln die Kohl-Suppe nicht aus“ und „Ihr wolltet den totalen Kohl jetzt habt ihr den Salat“. In mehreren Städten führten Demonstranten auch Kohlköpfe mit sich.

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