: Die Welt wählt sich halbtot
■ Peru, Ungarn, Griechenland, Slowenien... überall fanden gestern Parlaments- oder Präsidentswahlen statt / Jedes Land steht vor einer anderen Krise / Gemeinsam ist allen nur, daß die Probleme kaum auf dem Stimmzettel zu lösen sind
Wahlfieber überall. Vier verschiedene Staaten versuchten gestern, aus ihren verschiedenen Krisen durch die Inszenierung von freien, gleichen und allgemeinen Wahlen herauszufinden. Dabei sind diese Krisen teilweise durch die ganze Wählerei entstanden.
In Peru hat Präsident Alan Garcia das Land in den Ruin hinein- bzw. nicht wieder herausgeführt. Das Konglomerat aus Paris-verträumten Aristokraten, milliardenschweren Drogenhändlern, halbverhungerten Slumbewohnern, vergessenen Andenbauern und konzeptionslosen Urwaldpionieren versucht, sich endlich als einen Staat zu begreifen. Jahrhundertelang operierten die Politiker mit der Fiktion, außerhalb der Hauptstadt Lima gebe es nichts. Seit einigen Jahrzehnten aber ist das Nichts in Gestalt von Millionen Landflüchtigen, Terroranschlägen des „Leuchtenden Pfades“ und einer unlösbaren Wirtschaftskrise in die Hauptstadt eingedrungen. Alan Garcia sollte diesem Wandel einen Hauch von Modernität verleihen. Er schaffte es nicht. Die Favoriten bei der gestrigen Präsidentenwahl entsprechen der Absurdität der Situation: hinter dem weltberühmten Schriftsteller Mario Vargas Llosa steht in den Umfragen ein unbekannter Japaner namens Alberto Fujimoro. Da ihn keiner der Etablierten kennt, sehen ihn die Armen als einen der Ihren. Überraschungen sind nicht ausgeschlossen: im November wählte das Volk von Lima unerwarteterweise statt eines Rechtspolitikers einen Fernsehstar zum Bürgermeister.
Ungarn ist dagegen ganz einfach. Da man sich am 25. März nicht entscheiden konnte, ob man den Intellektuellen des SZDSZ oder den Volkstümlern des MDF den Vorzug geben sollte, wählte man eben beide. Der gestern stattfindende zweite Wahlgang soll aus der ungarischen Doppelidentität eine einheitliche politische Zielsetzung schmieden. In einem Land, in dem der Petöfi-Klub, der zu beweisen sucht, daß der ungarische Nationalheld 1849 von den Russen umgebracht wurde, mehr Mitglieder hat als beide großen politischen Parteien zusammen, kann so etwas nicht allzu schwer sein.
Schwieriger sieht es in Griechenland aus, wo zum dritten Mal innerhalb von zwölf Monaten dieselben Parteien mit denselben Spitzenkandidaten vor die Wähler treten. Die erste Wahl war notwendig geworden, weil Ministerpräsident Papandreou eine Flug-Stewardeß geheiratet hatte. Daraufhin übernahmen Konservative und Kommunisten gemeinsam die Regierung. Nach wenigen Monaten die zweite Wahl - Ergebnis: eine „Regierung der Nationalen Einheit“ mit Konservativen und Sozialisten. Dies funktionierte auch nicht, daher jetzt die dritte. Das Ergebnis steht beinahe fest: Sozialisten und Kommunisten gehen zusammen. Die anderen Varianten sind ja schon ausprobiert worden. Das Problem aber bleibt: eine Parteienstruktur, die der Korruption und der Volksbelustigung dient, während das Land, besonders die Hauptstadt Athen, ganz einfach verkommt.
Zum erstenmal, und daher hoffnungsvoll, wählen dagegen die Bürger in Slowenien, die nicht warten wollten, bis sich Jugoslawien insgesamt demokratisiert, und politisch denselben Vorsprung zu erreichen hoffen, den sie schon wirtschaftlich besitzen. Die kommunistische Regierung von Milan Kucan machte es möglich und wird deshalb vielleicht sogar als Sieger enden. Gegen ihn tritt die gesamte Opposition, von Bauern über Sozialdemokraten bis hin zu Grünen und Grauen Panthern, als eine Union namens „Demos“ an. Geführt wird sie von Joze Pucnik, der 1989 aus seinem westdeutschen Exil zurückkehrte. Wer gewinnt ist im Grunde egal: beide wollen Jugoslawien nach dem slowenischen Modell reformieren, einen vernünftigen Unionsvertrag aushandeln und Annäherung an Westeuropa finden. Slowenien ist viel entwickelter als beispielsweise Serbien, in dem der populistisch agierende KP-Führer Milosevic den Ton angibt, und hat im Abseits der Weltpolitik eine äußerst differenzierte politische Kultur entwickelt. Man hofft jetzt, mit den Kroaten, den Bosniern und auch den Albanern in Kosovo den vollständigen Zerfall der Föderation aufhalten zu können.
D.J.
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