: Von Experimenten keine Rede
■ Tutzinger Medientage und das Problem der Kultur im Fernsehen
Um die Kulturprogramme im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ist es schlecht bestellt. Zunehmend ins Ghetto der Spätabendschiene verbannt, wird in ihnen kaum noch experimentiert. Und bei den kommerziellen Sendern wird Kultur allenfalls als Alibi für das übrige Seichtprogramm benutzt. Zu diesem nicht gerade optimistisch stimmenden Ergebnis kommt jedenfalls, wer die diesjährigen Medientage der Evanglischen Akademie Tutzing von letzter Woche reflektiert. Diesmal wurde über das „Kulturprogramm im (öffentlich-rechtlichen) Fernsehen“ geredet. Da rund 120 Teilnehmer fast ausschließlich aus Medienberufen kamen, schmorte man wie üblich im eigenen Saft, Perspektiven für die Kultursendungen wurden nicht aufgezeigt. Wie jedes Jahr hinterlassen die Tutzinger Medientage mehr Fragen als Antworten.
Sind Fernsehen und Kultur überhaupt miteinander in Einklang zu bringen? Ist das Fernsehen als solches auch ein Kulturgut? Der Publizist Georg Seeßlen bestreitet dies: „Um Kultur zu werden, bedürfte das Fernsehen vielleicht einer Radikalität, zu der es aus organisatorischen und technischen Gründen, möglicherweise aus seiner Macht heraus nicht fähig scheint.“ Weder brauche Kultur das Fernsehen noch das Fernsehen die Kultur. Denkt man an die niedrigen Einschaltquoten von Kultursendungen im Fernsehen, so mag man letzteres vielleicht noch bestätigen können. Für ersteres gilt dies jedoch nicht. Wäre es doch um die bundesdeutsche Filmindustrie schlecht bestellt, wenn die Rundfunkanstalten nicht ihre Filme koproduzierten. Für die Buchverlage bedeuten Rezensionen im TV eminente Umsatzsteigerungen, und schließlich bestreiten viele freischaffende Künstler ihr Einkommen durch Aufträge von den Sendern.
Umgekehrt wird, allen vollmundigen Erklärungen zum Trotz, in den Intendanzetagen der Kultur kein hoher Stellenwert eingeräumt. Aus dem Vor- und Hauptabendprogramm wird sie mehr und mehr auf die Vormitternachtsschiene verdrängt. Überhaupt: Die Fixierung auf die Einschaltquote ist wohl der größte Feind der Kulturberichte im Fernsehen. Bessere Sendezeiten sind nicht drin, weil sie angeblich zu wenige Zuschauer vor die Glotze bringen. Wenn sie aber erst einmal zu nachtschlafender Zeit ausgestrahlt werden - und dadurch noch weniger Zuschauer bringen -, dann droht ihnen schließlich das totale Ende. Der vor kurzem wiedergewählte WDR-Fernsehprogrammdirektor Günter Struve fragte denn auch ganz ungeniert: „Müssen wir auf Dauer Dinge fortsetzen, die am Bildschirm keine Zuschauer haben?“
Wenn ihre Beiträge schon auf so ungelegene Sendeplätze geschoben werden, so müßten ihre Macher doch diese wenigstens als eine Art Tollwiese nutzen - nach dem Motto: Wenn wir schon nicht so viele Leute erreichen, dann toben wir uns hier wenigstens aus. Von Experimenten war aber in Tutzing keine Rede. Wollen die Redaktionen um keinen Preis auffallen? Sich bei ihrem Intendanten nicht unbeliebt machen? Wessen Existenz nicht wahrgenommen wird, dessen Verschwinden wird auch nicht mehr beklagt.
Wenn sich ZDF-Aspekte-Chef Johannes Willms als „Partisanenkämpfer“ bezeichnet, ist das traurig genug. Legt man die Definition des Duden zugrunde, dann ist Willms jemand, der „aus dem Hinterhalt (die ungünstigen Sendeplätze) gegen den in sein Land eingedrungenen Feind (die populären Unterhaltungssendungen) kämpft“. Gegen die starken Geschütze der seichten Unterhaltung, auf die die öffentlich-rechtlichen Sender mit Verweis auf die Konkurrenz zu den privaten immer mehr setzen, können Willms‘ Karabinerschüsse nicht viel ausrichten.
Daß auch mit unkonventionellen Mitteln ein interessantes Kulturmagazin gemacht werden kann, das sogar zu vorgerückter Stunde noch so manche Zuschauer vor den Fernseher lockt, das führt der Filmemacher Alexander Kluge wöchentlich mit seinen Magazinen Prime Time und Ten to Eleven (beide bei RTL) vor. Obwohl nicht anwesend, bekam Kluge in Tutzing viel Lob.
Die visionären Bilder in Kluges Sendungen, die sich exzessiv der Video- und Tricktechnik bemächtigen, unterscheiden sich fundamental von den meisten Magazinen in ARD und ZDF. Diese berichten häufig nur über kulturelle Ereignisse, während Kluge Kultur macht. Wie sagte Georg Seeßlen doch: „Kultur im Fernsehen kann nur heißen, eine Fernsehkultur zu schaffen, die sich vom Bilder- und Mythenstrom der populären Kultur autonom macht. Sie muß Kultur nicht vermitteln, sie muß Kultur sein.“ Film- und Buchrezensionen, Berichte von Ausstellungen und Konzerten, die bei den öffentlich-rechtlichen Magazinen dominieren, genügen diesem Anspruch nicht.
Durch die Einrichung der beiden stark kulturlastigen Satellitensender von ARD und ZDF (1plus und 3sat) betreiben die beiden Anstaltern ohnehin eine weitere Ghettoisierung der Kultur. Wer keinen Kabelanschluß oder eine Schüssel auf dem Dach hat, der sitzt nicht in der ersten Reihe, sondern überhaupt nicht im Theater. Für Aspekte-Willms wäre denn ein Sendeplatz bei 3sat auch nicht wünschenswert. Er befürchtet, daß er bei dem Kultursender untergehen würde.
Oder sind nur die Ansprüche an das TV-Kulturprogramm zu hochgesteckt? Denn sollte man es mit der Binsenweisheit des 'Spiegel'-Feuilletonisten Hellmuth Karasek halten: „Nur weil etwas populär ist, ist es noch nicht schlecht.“
Marc Fritzler
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