: Ödes Gestocher im Gegnergebein
Lauter Zufallstore bei Uerdingens unverdientem 2:2 gegen Europas vermeintliches Spitzenteam aus München ■ Aus Krefeld Bernd Müllender
Am Kampfgeist hat es nicht gelegen. Der war überaus mäßig, insbesondere für ein Team, das im Abstiegskampf steht. Am Siegeswillen auch nicht. Den hatte die Mannschaft erst gar nicht, ein Unentschieden war schon vorher das Ziel.
Spielerische Klasse war es erst recht nicht. Die gehört beim peinlich indisponierten FC Bayer 05 Uerdingen überhaupt nicht zum Repertoire. Auch war es nicht die erhoffte Unterstützung des Publikums, das drei Minuten vor dem erlösenden Schlußpfiff großteils schon murrend auf dem Heimweg war. Daß es gegen die Bayern aus München in der 88.Minute zum 2:2-Ausgleich noch reichte, war auf nichts anderes als den Zufall zurückzuführen, daß ein Gewaltschuß irgendeinen Weg zwischen den vielen Leibern hindurch fand, und für den neuen Medientorwart Nr.1, Raimond Aumann, unhaltbar unter der Latte das Netz zerbeulte.
Allenfalls höhere Mächte und eine erstaunliche Kontinuität der Geschichte im Grotenburg-Stadion könnte noch als Erklärung herhalten, denn seit die Werkskicker im bezahlten Fußball zu Werke gehen, haben sie immer wieder Spiele in der 88.Minute aus dem Feuer gerissen, besonders gern in den frühen siebziger Jahren, als noch - Nostalgie, Verklärung, Wehmut - richtige Fußballspieler in der Grotenburg, die damls noch zu recht „Kampfbahn“ hieß, dabei waren: Leute wie Paulhahn, Wloka, der junge Burgsmüller oder Friedhelm Funkel.
Passend, daß dessen Bruder Wolfgang den späten Ausgleich schaffte. Passend zum erbärmlichen Gebolze war auch so manch anderer Umstand. Bei Spielbeginn wurde ein Autofahrer zu seinem Wagen gebeten, weil er 22 Garagenzufahrten versperre. 22 Kicker versperrten sich darauf gegenseitig alle Zugänge Richtung Tor. Rückpaß, Querpaß, Schüsse in Richtung Auslinie, wildes Gestolper und Gestocher im Gebein der Gegner. „Jenseits des Zumutbaren“, urteilten nachher selbst die Schönschwätzer vom Kabel-TV. Schon die gärtnerische Aufarbeitung des Grüns hätte Mißtrauen erregen müssen alles hübsch in optische Quadrate gemäht - eine Aufforderung zum Rasenschach.
Eine Mannschaft - wie die der Krefelder -, die einem solch begnadeten Ballästheten wie Alan McInally, der Bayern jüngster Stürmermißgriff, einen Direktpaß zugesteht, später sogar zu einem gelungenen Doppelpaß einlädt und gar einmal einem technischen Kunstschuß erlaubt, muß der höheren Fußballgerechtigkeit wegen eigentlich absteigen, mußte aber zumindest mit dem 0:1 bestraft werden: des Schotten energischer Kullerball aus der Schräge, der Einheimischen Torwart Grüninger sortiert seine Arme und Beine einige Sekunden zu lang, und der Ball hoppelt zum 0:1 ins Tor.
Zum völlig überraschenden Ausgleich brauchten die Krefelder gleich nach der Pause geschätzte fünf bis sieben Nachschüsse aus dem Fünfmeterraum, der arg ärmliche Reich mit der anmaßenden Bezeichnung Stürmer ließ sich dreisterweise dafür sogar feiern. Und auf der neuen Anzeigetafel, die so unwirklich groß ist, daß im nächsten Jahr als alternativer München-Gegner auch die Spielvereinigung Unterhaching ohne Trennstrich draufpaßte, wenn die nicht auch absteigen würden aus der Liga zwo, hüpfte völlig unerklärlich ein albern jubelnder Digitalelefant über den Bildschirm. Das ist Fußball in Krefeld, ein Erlebnis.
Die Bayern, verärgert über die eigene Dummheit beim ersten ausgleich (incl. Aumann, der sich den Ball aus den Pranken hatte spitzeln lassen), reagierten auf ihre Weise. Der seit Dezember erstmalig ganzzeitig eingesetzte, durchaus gute Olaf Thon ließ sich knallhart anschießen, das Malheur wurde zum Paß, und der Zappelphilipp Dorfner lupfte ein.
Es wäre ein verdienter Sieg gewesen der Einäugigen Auge und Co gegen die Bayer-Blinden vom Niederrhein, die aus keiner Chance zwei Tore gemacht hatten. Das grauslige Spiel der Krefelder mag auch daran gelegen haben, daß ihr vielgerühmter Angreifer Brian Laudrup am Samstag ganz im Dienste der Mannschaft so schlecht spielte wie alle anderen auch. Er muß sich sputen, schlechte Kritiken einzuheimsen, damit sein Verein von der aberwitzigen Ablösesumme von „mindestens 10 Millionen Mark“ heruntergeht. Sonst erlöst den pfiffigen Dribbeldänen niemand von seinem Schicksal, laut Vertrag bis 1992 an dieses Team gefesselt zu sein. 05 UERDINGEN: Grüninger - Fach - Zietsch (72. Mathy), Wolfgang Funkel - Paßlack, Witeczek, Klinger, Steffen, Bartram - Reich, Laudrup
BAYERN MÜNCHEN: Aumann - Augenthaler - Reuter, Kohler Flick, Dorfner, Strunz (17. McInally), Kögl (57. Bender), Pflügler - Wohlfarth, Thon
Zuschauer: 22.200
Tore: 0:1 McInally (34.), 1:1 Reich (48.), 1:2 Dorfner (65.), 2:2, W. Funkel (87.)
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