Die Opferung des Potsdamer Platzes

Die Daimler Benz AG will 65.000 Quadratmeter im Herzen des vereinten Berlins / Ein Streit zwischen Stadtentwicklung und Umweltplanung / Der Regierende Momper will schnell eine Entscheidung / Der Konflikt könnte sich unversehends zu einer neuen Koalitionsfrage entwickeln  ■  Von Klaus Hartung

Berlin (taz) - „Mindestens eine Milliarde D-Mark“ will Daimler-Benz investieren. Das erklärte am Freitag morgen Manfred Gentz, Vorstandsvorsitzender der Daimler-Benz InterServices (Debis) im Steigenberger Hof. Dort wurde der vierte Unternehmensteil der Daimler Benz AG vorgestellt. Die Debis will am Potsdamer Platz ein Dienstleistungszentrum bauen. Sie reklamiert 65.000 Quadratmeter, praktisch ein Drittel des Platzes, bietet 8.000 Arbeitsplätze.

Diese 8.000 Arbeitsplätze geisterten denn auch durch die Vorlage zweier Senatsverwaltungen für die Senatssitzung am 3.April, wiewohl sich die Debis sehr unbestimmt darüber äußerte, wann denn diese Anzahl der Arbeitsplätze erreicht sein werde. Für den Bausenator Nagel ist die Mercedes -Ansiedlung „ein wesentliches Signal für den Ausbau und die Stärkung Berlins als Wirtschaftsstandort“. Walter Momper erklärte auf der Sitzung denn auch: „Einen solchen Investor kann man nicht warten lassen.“ Er will offenbar in der Senatssitzung morgen die Entscheidung darüber herbeiführen.

Diese Entscheidungssituation aber hat in der letzten Woche einen politischen Grundsatzstreit verschärft, der mehr als die Auseinandersetzung um den Kita-Streik, Mompers Alleingänge oder um die Stromtrasse die Koalitionsfrage auf die Tagesordnung setzen könnte. Am selbigen Freitag machte auch die AL eine Pressekonferenz, in der sie gegen die „Scheckbuchplanung“ protestierte: Die „Ausrichtung (der Stadtentwicklung) an den Wünschen eines privaten Investors würde ein Präzidenzfall sein, dem dann mit Sicherheit verfehlte Planungen folgen würden“. Stadplanung gehöre zur Zentralen Aufgabe der Kommune. „Eine Politik, die sie direkt und indirekt in die Hände privater Investoren legt, können und wollen wir nicht mittragen“, erklärte die Berliner Alternative Liste.

Der Postdamer Platz als

Schlüsselgrundstück

Der Potsdamer Platz in Berlin-West, jetzt noch innerstädtische Brache am Mauerrand, in Verbindung mit dem barocken Oktogon des Leipziger Platzes in Berlin-Ost bislang Niemandsland - ist ein Schlüsselgrundstück des künftig vereinten Berlins. Es verbindet als Scharnier den neuen Westen mit dem historischen Zentrum im Osten. Hier muß, wie es jetzt die Gruppe „9.Dezember“ in einer „Charta für die Mitte von Berlin“ forderte, es eine „kritische Rekonstruktion der historischen Strukturen“ geben; hier geht es „um Stadtidentität“.

Die Gruppe „9.Dezember“, eine Gruppe aus emanzipierten DDR -Architekten, ehemaligen IBA-Matadoren und kritischen Stadtplanern, hatte als erste begriffen, daß auf dem Gelände zwischen Potsdamer Platz und Leipziger Platz über die Zukunft des neuen Berlins entschieden wird. Sie hatte immerhin Anfang des Jahres einen Baustopp gegenüber der Ostberliner „Plattenmafia“ erreicht und verhindert, daß die Platzgestalt von der Plattenserie vorentschieden wird. Seit dieser Zeit hat sich auch ein Richtungskonflikt zwischen Michaele Schreyer, Senatorin für Stadtentwicklung und Umweltschutz, und Wolfgang Nagel, dem Bausenator, aufgebaut: Der Streit geht um das Stadtgrün, die Baudichte, die Verkehrsplanung und die städtebauliche Bedeutung der Plätze. Die Senatorin will das „grüne Herz“ Berlins, die „Grüntangente“, die durch das künftige Herz Berlins vom Tiergarten über einen Park auf dem Gelände des ehemali

gen

Potsdamer Bahnhofs bis zu den Ökotopen der südlichen Geleisanlagen führt. Nagel will Dichte, will die Bebauung des Geländes auf dem Potsdamer Bahnhof, dort wo jetzt der Polenmarkt sich um die große Pfütze erstreckt und die Magnetbahn die Stadtansicht ruiniert.

AL: „Undemokratischer

Zeitplan“

Die politische Komplikation des Streites liegt darin, daß der offene Konflikt um das Stadtgrün den tieferen Widerspruch um den Zeitplan der Platzbebauung überlagern wird. Dieser Zeitplan ist formell noch Senatskonsens. Sabine Weißler, Fachfrau für Kultur in der AL-Fraktion, nennt ihn allerdings schlicht „verbrecherisch“. Der Zeitplan gibt ein für die Stadtplanung völlig ungewöhnliches Tempo vor: Ende April soll eine Ausstellung und ein Expertenhearing über die Platzgestaltung abgeschlossen sein. Mitte Mai soll die „Abstimmung“ mit dem frisch gewählten, ersten Ostberliner Magistrat geschehen sein.

Im Juni sollen die Wettbewerbsunterlagen ausgegeben und schon im Oktober soll eine Jury über die städteplanerischen Wettbewerbsergebnisse entschieden haben. Dissens gibt es nur in Einzelpunkten: Die Senatorin für Stadtentwicklung fordert lediglich vier Wochen mehr, weil sonst sich „vermutlich viele potentielle Wettbewerber nicht beteiligen können. Sie will auch einen „offenen Wettbewerb“. Senator Nagel will einen Senatswettbewerb nur „unter Hinzuziehung einiger (!) international bekannter Architekten„; im übrigen lehnt er eine „Verlagerung des Termins“ ab, weil „der Investitionsbeginn im Herbst 1992“ von Daimler-Benz nicht gefährdet werden darf.

Die Alternative Liste sieht jedenfalls an dieser undemokratischen Zeitplanung und an der Größenordnung des Mercedes-Projektes die Koalition in Frage gestellt. Die AL -Abgeordnete Hilde Schramm ist empört, daß der Ostberliner Magistrat in diesem Planungsprozeß überhaupt nicht „als demokratischer Partner ernstgenommen wird“. Schockiert ist sie vor allem über die Größenordnung des Mercedes-Projektes: „Da bekommt dieser Rüstungskonzern das Juwel der Stadt. Das vereinte Berlin sollte doch auch ein Signal für die weltweite Abrüstung setzen.“ Frau Schramm sieht überhaupt keine Notwendigkeit, daß „der erste Anbieter den Zuschlag erhält“, denn Daimler-Benz werde auf jeden Fall kommen. Das bestätigte indirekt der Vorstandsvorsitzende Gentz: Man wolle in Berlin investieren, denn die Stadt sei „schon heute eines der wesentlichen Dienstleistungszentren Euopas“.