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Kulturskandal um eine berühmte Ruine

■ Kulturmagazin „Kontur“ berichtet heute über die vom Verfall bedrohte Leipziger Universitätsbibliothek

Das Kulturmagazin „Kontur“ berichtet heute (DFF 1 gegen 21.35 Uhr) in einem seiner Beiträge über einen Kulturskandal: die Leipziger Universitätsbibliothek in der Beethovenstraße.

Der sächsische Baumeister Arved Roßbach baute vor 100 Jahren in Leipzig ein Gebäude für die Bücher der Leipziger Universitätsbibliothek. Sie ist nach Tübingen die zweitälteste auf deutschem Boden. Es ist ein prächtiger Bau, der italienischen Hochrenaissance nachempfunden, außen mit Sandstein verkleidet. Der zweite Weltkrieg nun hat den Ostflügel abgerissen: Bei einem Bombenangriff der Engländer wurden 60 Prozent des Gebäudes zerstört. Zum Glück hatte man vorher die Bücher ausgelagert, und so wäre der Schaden reparabel gewesen ...

Aber offenbar haben Ulbricht und seine Genossen (später Honecker), die allesamt bekanntermaßen große Kultur- und Kunstliebhaber waren, beschlossen, die verbliebenen 40 Prozent des Gebäudes freizugeben für den Verfall. Die alten Marmorsäulen des schwer beschädigten Kuppelsaales waren noch gut erhalten, und so ließ man sie nach Berlin bringen, in Scheiben schneiden und zu Fußbodenplatten in der Deutschen Staatsoper verarbeiten. Das Gebäude selbst hat sich dem „Beschluß“ widersetzt, es steht noch immer.

Das haben verschiedene Verantwortliche der Universität zum Anlaß genommen, den Staat um Geld für den Wiederaufbau zu bitten, denn aus eigener Kraft kann eine Universität solch ein Vorhaben natürlich nicht bezahlen. Die Antwort waren Ablehnungen, im Höchstfall, meist reagierte man gar nicht. Experten geben dem Gebäude jetzt noch knappe fünf Jahre, wenn nicht sofort etwas passiert, kann man dann in der Beethovenstraße 6 einen Tennisplatz einrichten.

Feuchtigkeit, Frost, Wind und Sonne reißen Stück für Stück das Gemäuer ab. Den Büchern droht zunehmend Obdachlosigkeit. In der bizarren Ruine lagern Millionen Bände. Unter ihnen der älteste medizinische Papyrus der Welt, die Gutenberg -Bibel, eine mittelalterliche Handschriftensammlung, deren Wert bei 100 Millionen Dollar liegt. Alles unersetzbar.

70.000 Bände sind bereits angeschimmelt, 700.000 drohen unmittelbar zu verfallen. Ein Teil der Bücher ist bereits in die Deutsche Bücherei ausgelagert worden, aber auch dort drängen die Neuerwerbungen die „Gäste“ bald wieder hinaus. Vor kurzem hat man deshalb an die Stadt die Bitte gerichtet, Platz für die Auslagerungen bewilligt zu bekommen, und dachte dabei an den Stasi-Bau an der „Runden Ecke“. Keine Antwort. In dem Riesengebäude soll ja bekanntlich bald das Amt für Arbeit seinen Sitz bekommen.

Wissenschaftler aus 40 Ländern nutzen die Universitätsbibliothek Leipzig, um die einmaligen Bücher auszuleihen. Bald können sie zu Hause bleiben. Die Rekostruktion würde jetzt 40 Millionen Mark kosten. Ein letzter Versuch ist der Spendenaufruf des Rektors Hennig. (Kontonummer: Staatsbank der DDR: 5621-28-127157 / Mark, 5591-52-10 / DM).

Ulf Kalkreuth

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