Das Glück auf verlorenem Posten

■ Achternbusch zur aktuellen Volkserhebung

Ein qualmender Trabi im Bananenhagel, ein dunkelblondes Glück im durchsichtigen Chiffonkleid, ein sich zwischen seinen Höckern eifrig kratzendes lebendiges Kamel vor blau -gelben Wüstenbergen und am Ende noch mal: das Glück. Diesmal taucht es auf wie eine Freiheitsstatue oder Justitia und hält in den Händen zwei Eimer, einen blauen und einen gelben, den einen für Naß- und den anderen für Trockenmüll.

Bilder aus Herbert Achternbuschs neuem Stück, das am vergangenen Donnerstag in den Münchner Kammerspielen uraufgeführt wurde. Ein Stück vom Umbruch in der DDR soll es sein. Selten reagierte das Theater und mit ihm ein Autor so schnell auf politische Ereignisse. Animiert vom Intendanten der Münchner Kammerspiele, Dieter Dorn, ließ sich der Maler, Schriftsteller und - last but not least - Filmemacher Herbert Achternbusch darauf ein, sein Stück zu den deutsch-deutschen Ereignissen zu schreiben. Mit schneller Feder, in sage und schreibe fünf Tagen zwischen dem 20. und dem 25.Dezember vergangenen Jahres, entwarf Achternbusch seine „Revolutionsfarce“, so der Untertitel. Im gleichen Tempo wurden die Proben zu Auf verlorenem Posten durchgezogen: gerade mal vier Wochen.

Sicher, länger als eineinhalb Stunden hätte Achternbusch seinen deutsch-deutschen Bilderbogen auch nicht spannen können. Mehr gab das Stück nicht her. Und wenn Schauspieler Edgar Selge im „deutsch-geranienroten Pullover“ auf der Bühne achselzuckend meint, es ersetze schließlich die Dramaturgie, wenn das weibliche Mitglied einer verqueren Dreierbeziehung ihren zwei DDR-Männern mitteilt, sie sei schwanger, wirkt diese Metaebene auf die Kritikerin eher wie ein billiger Notnagel. Und eben nicht wie ein gezielt eingesetzter Kunstgriff. Das Publikum aber nimmt's dankbar auf und lacht - all das schließlicn nur skurrile Einfälle, wie sie die Achternbuschgemeinde gewohnt ist. Für so manches Gemeindemitglied aus der „Theaterkritikergilde“ aber ist so ein Notnagel dann willkommener Anlaß, Achternbusch mit dem absurden Theater von Ionesco oder gar mit Becketts Warten auf Godot zu vergleichen - Hymnen am falschen Platz.

Ebenso billige und offensichtliche Effekthascherei war Achternbuschs in Ansätzen vorgetragene Publikumsbeschimpfung. Das Müncher Premierenpublikum hatte der 52jährige damit wiederum auf seiner Seite. Es gefiel, als er Lambert Hamel sagen ließ: „Die meisten versitzen hier ihr Abonnement. Andere sitzen hier, weil sie die tägliche Einsamkeit im Fernsehlicht fürchten. Auch solche, die Abend für Abend in den Büchern lesen, habe ich hier, weil sie einmal im Monat das Beschreibungsgeblödel fliehen.“

Dabei war der erste Auftritt von Schauspieler Lambert Hamel eigentlich vielversprechend. Bei seinem Monolog in der Kulisse einer weißgestrichenen, freundlich wirkenden Fabrikhalle über die Befindlichkeit „danach“: „Oh mein Bauch, als müßt‘ ich auf ganz Deutschland scheißen“, krümmt sich der „Ostler“ stöhnend, überwältigt von der Erinnerung an all die vertanen Montagsdemos.

Weniger einleuchtend kommen dagegen die Handlungsstränge dieser „Revolutionsfarce“ daher. Warum haben diese drei Menschen aus der DDR, die offensichtlich zu den drei Prozent gehörten, die den Umbruch auslösten, jetzt ihr Land verlassen? Aus Enttäuschung, weil ihre Landsleute die Bananenrepublik wählten? Landeten sie ausgerechnet deshalb im deutschsprachigen und schwarzbraunen Bozen? Um die Alpen von der anderen Seite zu sehen, ist eine der von Achternbusch angebotenen Erklärungen. Solcherlei Dialogregie klingt wie eine Hommage an die Adresse des Autors: Schließlich muß der bayerische Anarchist, wie Achternbusch immer wieder bezeichnet wird, dem „verlorenen Posten“ seinen alpinen Stempel aufdrücken.

Ebenso fadenscheinige Erklärungen hat „Anarcho“ Achternbusch für den irritierten Zuschauer bereit, dem in der Posten-Story der „rote Faden“ fehlt: Einem „Einfall“ solle eben möglichst lange die „Geschichte“ verweigert werden. Das Dogma ist geschickt gewählt, denn: Wer wollte es nach einem solch philosophischen Diktum noch wagen, diese de facto nicht vorhandene „Geschichte“ einzuklagen? Dabei könnte man ebensogut frech behaupten, Achternbusch sei eben keine Geschichte eingefallen, und daher sei er allenfalls in der Lage gewesen, bloße „Einfälle“ in Szene zu setzen.

Einfälle, Szenen, Bilder - auch die Metapher vom „Glück“, illustriert mit dem Bild einer reinen, verführerischen jungen Frau, allemal verschmäht von den feigen Menschen, hat eine anheimelnde Ästhetik, mehr aber nicht. Viel zu sehr lastet die moralische Verantwortung für die Konsumgeilheit der „Neu-Deutschen“ auf den Schultern von Achternbuschs Idee vom „Glück“.

Feige Protagonisten hat es in der DDR genug. Aber was in aller Welt macht dann dieses Kamel auf den Brettern der Kammerspiele? Es stiehlt den Schauspielern die Show, sorgt für Szenenapplaus und bringt Leben ins Theater. Da Achternbusch seine Poesie erst kürzlich in einem Interview als die eines „Bauern mit drei Tieren“ bezeichnet hat, dessen Inspiration beim Schreiben einer weißen Stute gleicht, beim Filmen einem meist braven Tiger und beim einsamem Malen von Bildern einem Kamel, mag der zweihöckrige Uli durchaus dem Stall seiner Künste entsprungen sein.

Luitgard Koch