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Macht das Wetter wirklich krank?

■ Biometeorologen der Universität München untersuchen die These der Wetterfühligkeit / Neue Wetterdaten, aber auch Meister Zufall sollen maßgebend in die Forschung einbezogen werden / Wissenschaftler empfehlen jedem Wetterfühligen, genaustens Buch zu führen

Seit Jahrtausenden glauben die Menschen dem Wetter ausgeliefert zu sein und darunter zu leiden. Zwischen ihrem seelischen und körperlichen Befinden und der jeweils herrschenden Witterung sehen viele Zeitgenossen nach wie vor einen deutlichen Zusammenhang. Ob Kopfschmerzen, Ziehen in der Narbe, rheumatische Schübe - immer soll das Wetter schuld sein. Schon der deutsche Naturforscher Alexander von Humboldt (1769 bis 1859) entdeckte, daß „die Elemente der Atmosphäre und ihre Wirkung nicht nur für die organische Entwicklung der Gewächse und die Reifung der Früchte, sondern auch für die Gesundheit und die Seelenstimmung der Menschen wichtig sei“. Als dann Methoden und Meßinstrumente Wetterdaten genauer erfaßten, wurde klar: An bestimmten Kalendertagen häuften sich gleichartige Krankheitssymptome.

Inzwischen behaupten die Demoskopen, daß zwischen 50 und 70 Prozent der Bevölkerung „wettergestört“ seien. Damit wäre die Wetterfühligkeit eine der häufigsten gesundheitlichen Klagen. Dabei wird oft übersehen, daß familiäre und berufliche Probleme meist stärker in unser Befinden eingreifen als das Wetter. Mit Sicherheit sind aber die Durchblutung der Hautkapillaren und indirekt auch der tieferliegenden Gefäßgebiete vom Wetter abhängig. Auch die Gelenke, die nicht von Fett- und Muskelgeweben umgeben sind, sind in stärkerem Ausmaß den äußeren Temperaturen preisgegeben. Die Gelenkflüssigkeit wird um so zähflüssiger, je kälter es ist.

Aber viele Ärzte und Wissenschaftler stehen dem Kausalzusammenhang zwischen Wetter und Beschwerden inzwischen zunehmend skeptisch gegenüber. Sie wollten es genauer wissen und kreierten die Biometeorologie. Zu ihnen gehören auch Mitarbeiter des Instituts für Medizinische Balneologie (Bäderkunde) und Klimatologie der Uni München. Ihre These: Die mit dem Wetter in Verbindung gebrachten Beschwerden beruhen so gut wie nie auf systematischen individuellen Beobachtungen. Lediglich aus den von Generationen weitergegebenen ähnlichen Befunden resultiere die grundsätzliche Behauptung, zwischen dem Wetter und unserem gesundheitlichen Befinden existiere ein direkter Zusammenhang. Allerdings: Wenn es zwischen den Beschwerden und dem Wetter tatsächlich einen Zusammenhang geben sollte, dann, so die Biometeorologen, liege hier auch der Schlüssel, symptomatischen Schmerzen vorzubeugen. Das erfordert zunächst eine genauere Erfassung der Wetterdaten. Mithin sammeln die Münchner Wissenschaftler trotz grundsätzlicher Skepsis gegenüber der Wetterthese eifrig neue Wetterdaten. Während vor 100 Jahren vor allem bodennahe Daten wie Luftdruck, -temperatur und -feuchte, Windrichtung und -stärke sowie Regen, Schnee und Gewitter registriert wurden, setzen die Uni-Forscher andere Akzente. Sie dringen in höhere Luftschichten vor, um die Wettervorgänge komplexer zu beschreiben. Solche Wettergrößen sind beispielsweise Luftmassenverschiebungen und elektromagnetische Impulse, die bei Gewittern entstehen.

Die Biometeorologen wollen mit Hilfe der modernen Statistik aber auch herausfinden, inwieweit Wetterdiagnosen für Gesundheitsbeschwerden zufällig zustande kommen. Deshalb setzen sie die Wahrscheinlichkeitsrechnung ein, um das allgemeine Walten des Zufalls dingfest zu machen. Sie weisen daraufhin, daß die Interpretationen der Beziehungen von Mensch und Wetter bisher meist ohne Berücksichtigung des Zufalls vorgenommen wurden. Das verdeutlichen sie am Beispiel des Rheumas. Immer wieder sei festgestellt worden, daß sich Rheumabeschwerden bei raschem Wetterwechsel häufen, ohne daß sich die Luftfeuchtigkeit änderte. Das stünde nun wiederum im krassen Gegensatz zu der weit verbreiteten Meinung, daß sich rheumatische Leiden besonders im feuchten Milieu einstellen. Die Münchner geben zu, daß es zwar Untersuchungen gibt, nach denen in feuchten Wohnungen tatsächlich mehr Rheumatiker zu finden seien. Aber das ließe sich auch auf soziale Ursachen zurückführen. Sie behaupten, daß bis heute kein sicherer Beweis für eine Abhängigkeit von Rheuma und Wetter vorliegt. Wetterempfindliche Personen fühlten sich außerdem drinnen und draußen gleichbleibend schlecht. Und das, obwohl in Innenräumen kein Wind weht, es dort nicht regnet und die Temperatur in der Regel angemessen ist. Deshalb vermuten sie - wenn überhaupt - als Hauptfaktor gerade solche Wettergrößen, vor denen man auch drinnen ungeschützt ist wie die absolute Luftfeuchte. Den Beweis vermögen aber auch die Biometeorologen bis heute nicht erbringen.

Die Wissenschaftler sehen schon bei der Auswahl der Versuchspersonen Probleme. Denn es werden natürlich nicht nur diejenigen geprüft, deren Beschwerden ursächlich mit dem Wetter zusammenhängen, sondern alle, die von sich behaupten, wetterfühlig zu sein. Von den angeblich Wetterfühligen reagiere aber im Versuch nur ein relativ kleiner Teil tatsächlich auf das Wetter.

Wer glaubt, unter dem Wetter zu leiden, dem empfehlen die Wissenschaftler sorgfältig jede Veränderung zu notieren. Dann sollte die Diagnose des behandelnden Arztes hinzugezogen werden. Nach mehreren Monaten, so die Empfehlung der Biometeorologen, überläßt man diese Daten einer bioklimatischen Wohnortberatung des Deutschen Wetterdienstes. Daraus lassen sich dann individuelle Verhaltensregeln für Wetterfühlige ableiten. Denn Ziel der Biometeorologen ist es, Wettereinflüssen - wo sie tatsächlich vorliegen - vorbeugend zu begegnen. Noch vertrauen mehr Leute den überlieferten Weisheiten vom krankmachenden Wetter als dieser Wissenschaft, für die es in Sachen Wetterfühligkeit noch viel zu tun gibt.

Bärbel Petersen

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