: Sharpeville liegt gleich neben Sebokeng
Am 26. März eröffnete die südafrikanische Polizei das Feuer auf 50.000 friedliche DemonstrantInnen / Im Zeichen des beginnenden Dialogs zwischen Schwarz und Weiß blickt man erschreckt in die Untiefen des täglichen Rassismus ■ Aus Sebokeng Hans Brandt
Die Sekretärin im Büro des Südafrikanischen Kirchenrates (SACC) in Vereeniging, 50 Kilometer südlich von Johannesburg, hört auf zu tippen, als ich eintrete. „Guten Morgen“, sagt sie. Zwei Kolleginnen neben ihr unterhalten sich lebhaft. Ein Mann im Nadelstreifenanzug sortiert die Post des Tages. „Hallo“, sage ich, „ist Peter hier?“ Auf einen Schlag ist es still im Büro. Alle sehen mich an. „Peter? Was wollen Sie von Peter?“ fragt der Mann mißtrauisch. Ich stammele etwas - Journalist, Verabredung, Peter Moerane. „Ah, Peter Moerane“, sagt da der Mann im Anzug, „setzen Sie sich einen Augenblick“, und verschwindet in ein angrenzendes Büro.
Als Peter Moerane, der örtliche Mitarbeiter der Abteilung Gerechtigkeit und Versöhnung im SACC, wenig später erscheint, entspannt sich die Situation. „Wir dachten erst, Sie seien ein Sicherheitspolizist“, erklärt er. „Wir haben gerade einen Journalisten hier, Peter Mabuye, den die Polizei schon seit Tagen sucht.“ Er führt mich in das innere Büro, wo Mabuye gerade mit einem Anwalt telefoniert.
Als die Polizei am 26. März in Sebokeng, dem schwarzen Wohngebiet außerhalb der Weißensiedlung Vereeniging, ohne Warnung das Feuer auf 50.000 friedliche Demonstranten eröffnete, stand Mabuye direkt neben den Führern des Marsches. „Eine junge Frau, die links neben mir stand, und ein älterer Mann auf meiner rechten Seite wurden beide erschossen“, erzählt er, „es ist ein Wunder, daß ich selbst noch am Leben bin.“ Insgesamt kamen mehr als ein Dutzend Menschen ums Leben, fast 400 wurden von den Schrotflinten verletzt.
Mabuye veröffentlichte seinen Augenzeugenbericht und eine Reihe von Fotos im 'Vaal Weekblad‘, einer örtlichen Wochenzeitung für Weiße, und das, obwohl er eigentlich für ein Blatt nur für schwarze LeserInnen im gleichen Verlag arbeitet. Überraschenderweise hatte er mit der Chefredaktion keine Schwierigkeiten. Aber mit der Polizei. „Sie kamen am nächsten Tag, sagten mir, daß der Ausnahmezustand noch immer gültig sei und ich alle Berichte vorher mit ihnen absprechen müßte“, so Mabuye. Seitdem sucht ihn die Polizei.
Die Weißen von Vereeniging, dem konservativen Zentrum der südafrikanischen Stahlindustrie, schreckte der Bericht kaum auf. „Ich weiß bis heute nicht, worum es bei dem Marsch eigentlich ging“, sagt Dr. Mario Milani, Vorsitzender der Exekutive des weißen Stadtrates. Der Arzt mit dem italienischen Großvater, der jetzt Englisch mit burischem Akzent spricht, ist langjähriges Mitglied der Nationalen Partei (NP). „Wir vom Stadtrat haben uns gegen die Genehmigung des Marsches ausgesprochen. Wir halten einfach nichts davon, daß Hunderttausende von Schwarzen durch die Stadt marschieren.“
Der Marsch wurde also verboten, obwohl Präsident Frederik de Klerk seit September letzten Jahres friedliche Proteste grundsätzlich zuläßt. Milani kennt de Klerk gut - immerhin war dies vor de Klerks Amtsantritt jahrelang dessen Wahlkreis. De Klerk kann von Glück sagen, daß er rechtzeitig Vereeniging verließ. Bei den Wahlen der Weißen im September konnte die NP ihr Mandat nur mit einer hauchdünnen Mehrheit von 10 Stimmen gegen die ultrarechte Konservative Partei (CP) behaupten.
Milani gibt zu, daß seine Partei eine Wahl zum jetzigen Zeitpunkt verlieren würde. „Die CP wird stark unterstützt von den weißen Industriearbeitern. Das sind die Leute, die im Betrieb direkt mit den Schwarzen zusammenarbeiten. Die glauben, ihre Jobs und ihre Sicherheit werden durch die Fortschritte der Schwarzen bedroht.“ Der NP-Politiker nimmt den Einsatz der Polizei gegen den Marsch kritiklos hin. „Vereeniging hat eine lange und enge Beziehung zu den Sicherheitskräften in der Stadt“, meint er, „wir haben vollkommenes Vertrauen, daß sie die Situation kontrollieren können.“ „Kontrolle“ hat in der Region Tradition. Im März 1960 - fast auf den Tag genau 30 Jahre vor den Erschießungen in Sebokeng - versammelten sich 20.000 Demonstranten vor der Polizeistation von Sharpeville, einem Nachbarort von Sebokeng. Die Polizei eröffnete das Feuer, 69 Menschen wurden erschossen. Die darauffolgenden Proteste führten zum Verbot des ANC und des Panafrikanistischen Kongresses (PAC).
Den Erschießungen in Sebokeng folgten auch Proteste: Ausgebrannte Wände der Verwaltungsbüros in Sebokeng und zerschlagene Tanksäulen der Tankstelle des führenden schwarzen Stadtrates sind auch zwei Wochen nach den Aufständen sichtbare Zeichen. Und noch immer sind viele voller Wut. Am Sonntag kamen 100.000 zur Beerdigung von vier Opfern der Polizeibrutalität. Als Walter Sisulu, interner Führer des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) die Absage der ersten Gespräche zwischen ANC und Regierung aufgrund der Sebokeng-Erschießungen erwähnte, wurde er vom Applaus der Menge zum Schweigen gezwungen. „Die Absage der Gespräche da verschaffte sich die Stimme des Protestes der Massen Gehör“, sagt Lazarus More, langjähriger Aktivist in der Region.
More ist einer von vielen, die die Tradition des Widerstandes in diesem Gebiet personifizieren. Als einer der 22 Angeklagten in dem nach dem Verhandlungsort benannten „Delmas -Hochverratsprozeß“ wurde er für die Aufstände verantwortlich gemacht, die im September 1984 den Funken für die landesweiten Proteste der folgenden drei Jahre lieferten. More wurde später freigesprochen, seine Mitangeklagten kamen Ende letzten Jahres frei, nachdem ein Berufungsgericht ihre langjährigen Haftstrafen wegen Verfahrensfehlern aufgehoben hatte.
1984 protestierten die Menschen gegen überhöhte Mieten und gegen als Kollaborateure der Apartheid verschrieene schwarze Stadträte. Der Marsch am 26. März drehte sich um genau dieselben Probleme - in sechs Jahren hat sich fast nichts geändert. Die Arbeitslosigkeit in diesem Industriegebiet bleibt hoch, der tägliche Rassismus ungebrochen. „Seit Anfang Februar, als das Verbot des ANC aufgehoben wurde, sind die Weißen aggressiver geworden“, meint Pastor Ike Kolukotu, Leiter des SACC-Büros in Vereeniging - der Mann im Nadelstreifenanzug.
Kritik am ANC, mit der viele Diplomaten auf die Gesprächsabsage des ANC nicht hinterm Berge hielten, ist für viele hier Heuchelei. „Ist denn das Blut, das da floß, bedeutungslos?“ fragt Shele Papane, ein Mitglied der Vereinigten Demokratischen Front (UDF). „Mandela ist nicht als Einzelperson am Verhandlungstisch, sondern weil er ein Mandat der Massen hat. Die Kritiker wollen Mandela von den Massen trennen.“ Trotz allem hofft Papane auf eine bessere Zukunft. „Es gibt Licht am Ende des Apartheidtunnels“, sagt er. Ob seine Hoffung sich allerdings mit der des NP -Politikers Milani trifft?
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