: Bonn gegen „politische Bigamie“
■ Genscher sieht in Schewardnadses Stellungnahme vor allem Konstruktives, schließt eine deutsche Doppelzugehörigkeit in beiden Bündnissen aber auch aus / Nato sehr erfreut über neue DDR-Regierung
Bonn (afp/dpa) - Die Sowjetunion will nach Überzeugung von Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher „konstruktiv“ am Aufbau einer dauerhaften und gerechten Friedensordnung für ganz Europa unter voller Einbeziehung der USA und Kanadas mitwirken. Die Überlegungen seines sowjetischen Kollegen Eduard Schewardnadse für eine doppelte Bündniszugehörigkeit eines geeinten Deutschlands lehnte Genscher in einer ersten Reaktion jedoch ab. Seine Koalitionspartnerin Michaela Geiger (CSU) sah in dem Vorschlag Schewardnadses geradezu einen unsittlichen Antrag: Das sei „politische Bigamie“.
Hocherfreut zeigte sich dagegen das gesamte westliche Establishment über die neue DDR-Regierung. Die Entscheidung, Gesamtdeutschland für eine Übergangszeit in die Nato zu integrieren, bis ein neues europäisches Sicherheitssystem aufgebaut sei, fand in Bonn, Brüssel und Washington ungeteilte Zustimmung.
Genscher möchte sich jetzt bald mit seinem neuen DDR -Kollegen Markus Meckel zur Vorbereitung der 2+4-Gespräche zwischen den beiden deutschen Staaten und den vier Siegermächten des Zweiten Weltkriegs über die äußeren Aspekte der deutschen Vereinigung treffen. Der Sprecher des Auswärtigen Amts, Hanns Schumacher, konnte am Freitag noch keinen Termin nennen. Genscher fühlt sich im Gegensatz zur CDU/CSU durch die Ausführungen Schewardnadses in seiner Auffassung bestätigt, daß der Stärkung des KSZE-Prozesses einschließlich der Abrüstung und Vertrauensbildung eine entscheidende Rolle bei der Überwindung der Trennung Europas und Deutschlands zukommt. Offensichtlich wolle auch Moskau für die Zukunft Europas einen umfassenden Begriff der Stabilität entwickeln, die die wirtschaftliche und die sicherheitspolitische Dimension einbezieht. Die fortbestehenden Meinungsunterschiede über die Nato -Zugehörigkeit des vereinigten Deutschlands sollten nach seiner Ansicht nicht den Blick verstellen für die positiven Perspektiven, die sich aus den Ausführungen Schewardnadses ergäben. „Hier ist eine sorgfältige und konstruktive Prüfung und Analyse notwendig“, betonte der Minister. Kern des Artikels Schewardnadses in der Zeitschrift 'Nato Sixteen Nations‘, in dem er seinen Vorschlag unterbreitete, sei die Haltung Moskaus zum KSZE-Prozeß einschließlich der Abrüstung, zum Verhältnis der beiden Bündnisse sowie zur zukünftigen Struktur Europas. In diesen Fragen zeigten sich „bemerkenswerte Übereinstimmungen“, stellte Genscher fest. Das gelte sowohl für die Pläne für Gipfelkonferenzen, regelmäßige Tagungen der Außenminister im Rahmen der KSZE, als auch für die Schaffung von Zentren für Konfliktvermeidung und -beherrschung sowie für Verifikation.
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