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E Pluribus Unum - kurz: Benfica

Heute beginnt mit der Partie AC Florenz - Werder Bremen der Rückkampf um den Einzug in die Endspiele der europäischen Fußball-Pokalwettbewerbe / Nach langer Zeit wieder mit guten Chancen: Portugals Traditionsverein Benfica Lissabon  ■  Aus Lissabon Cornelius Wehmeier

Lissabon im Frühjahr 1990. Das Thema Fußball beherrscht einmal mehr eine ganze Stadt. Und dieser Sport ist hier untrennbar verbunden mit dem Verein „Sport Lisboa e Benfica“, kurz: Benfica. Vor den Rückspielen im europäischen Vereinspokal ist bei zwei Männern, die sich in der Lissaboner Metro unterhalten, das Weiterkommen des renommierten Clubs gegen Olympique Marseille bereits eine abgemachte Sache: „Claro, Benfica vai ganhar“, Benfica wird gewinnen.

Nicht nur in der überhitzten Untergrundbahn zwischen den Stationen Avenida da Liberdade und Rossio redet man sich die Köpfe heiß. Überall im hektischen Feierabendverkehr findet sich noch die Zeit, um beim Espresso im Stehen die Mannschaftsaufstellung zu diskutieren. Am Praco do Comercio, dem herrlichen Empfangsportal der Stadt am Rio Tejo, findet man unter den Arkaden das Cafe Martinho da Arcada. Hier hatte der portugiesische Dichter Fernando Pessoa, dessen 100. Geburtstag im letzten Jahr gefeiert wurde, seinen Stammtisch. Heute bestimmt kein literarischer Zirkel, sondern das geschriebene Wort von 'A Bola‘, der auflagenstärksten Fußballzeitung Portugals, das Geschehen.

Gestärkt vom starken Kaffeesud geht es dann weiter zu den Flußfähren, die die Massen über den Tejo zu den Arbeitervororten wie Cacilhas oder Barreiro tragen. Diese letzten roten Hochburgen der Politik sind auch die Hochburgen der „Benfiquistas“, der Anhänger Benficas mit den Vereinsfarben Rot und Weiß.

Geburt im Kaffeehaus

Benficas Anfänge datieren zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Bei einer Versammlung im Kaffeehaus Goncalves im Stadtteil Belem wurde 1904 der Verein „Grupo Sport Lisboa“ (GSL) gegründet. Schriftlich dokumentiert wurden damals neben der Ernennung eines Präsidenten die rot-weißen Vereinsfarben, die Fröhlichkeit und Begeisterung ausdrücken sollten, der Adler als Vereinssymbol für die Fähigkeit, so hoch als möglich aufzusteigen, sowie der Wahlspruch „E Pluribus Unum“, der auch auf dem US-Dollar zu finden ist. 1908 fusionierte die GSL mit dem Rad- und Wandersportverein „Grupo de Sport Lisboa“ (GSB) und gab sich den noch heute gültigen Namen „Sport Lisboa e Benfica“. Das Wappen schmückt der Fahrradreifen der GSB, in dessen Mitte ein Fußball prangt. Über allem thront der Adler, seine Krallen halten den Wahlspruch „E Pluribus Unum“.

Am Fuße der gewaltigen Jesus-Statue in den Betonburgen von Almada gibt es keinen Rasen, aber auch keine Schilder mit der Aufschrift „Fußballspielen verboten“. Hier treten die Kinder der „Retornados“, der Einwanderer aus den ehemaligen portugiesischen Kolonien in Afrika, gegen alles, was rund ist. Man ist für Benfica oder Sporting, und die Matches werden auf aufgerissenem Betongrund, einem sogenannten Spielplatz, der von einem Drahtkäfig umgeben ist, nachgespielt. Das Gründungsmitglied der GSL, Cosme Damiao, ist den Kurzen kein Begriff, dafür wissen sie, welches Auto Benficas schwedischer Mittelstürmer Magnusson fährt. Aber der Traum, einmal ein ganz Großer zu werden, endet oft schon im Drahtkäfig bei der Pausenzigarette, wenn sich die Zehnjährigen über Drogen unterhalten. Die Pause ist zu Ende, der Ball wird wieder hochgehalten. „Heute abend?“ - „Claro, Benfica vai ganhar!“ Doch es ist spannender, selbst zu spielen, als über das Spiel zu reden.

Bei den Älteren geht es mit der gleichen Intensität genau umgekehrt. Im Cafe an der Ecke kommt der Besitzer hinter der Theke hervor, um den umstrittenen Elfmeter im Lokalderby gegen Sporting vor -zig Jahren höchstpersönlich zu demonstrieren. Hier wie in unzähligen anderen Cafes kommt Fußballgeschichte zu ihrem Recht. Spiele aus der großen Zeit Benficas werden rekapituliert. 1961 und '62 gewann der Verein den Europapokal der Landesmeister gegen Mannschaften wie den FC Barcelona und Real Madrid aus dem nicht gerade beliebten Nachbarland Spanien. Costa Perreira, der Torhüter, rangiert im Ansehen der Werftarbeiter Alamadas immer noch vor den Torsteherlegenden Ricardo Zamora oder Lew Jaschin.

Der große Eusebio

Mit dem Spielergerüst von Benfica errang auch die Nationalelf Portugals ihren bislang größten Triumph, den dritten Platz bei der Weltmeisterschaft 1966 in England. Der große Eusebio gab 1961 seinen Einstand bei Benfica, natürlich mit drei Toren. Eusebio, der aus Mosambique kam, wurde zweimal Torschützenkönig Europas und auch erfolgreichster Schütze der WM 1966. Heute noch werden in den Cafes Tische zur Seite gerückt, um sein Freistoßtor gegen die Sowjetunion nachzustellen. Nach dem Spiel ging Torwart Jaschin über das halbe Feld zu ihm hin, um ihm die Hand zur Gratulation zu reichen. Eusebio, der im Umgang mit dem Ball wesentlich erfolgreicher war als im Umgang mit Geld, war es auch, der den ersten Porsche in Portugal einführte. Für die Portugiesen ist er immer „einer von uns“ geblieben.

Bei den Anekdoten, die in den Kneipen erzählt werden, klingt immer wieder Wehmut durch, eine Eigenschaft, die den Portugiesen nachgesagt wird. Der Ursprung dieser Wehmut ist sicherlich in der Geschichte zu suchen. Die Niederlage der portugiesischen Truppen unter ihrem König Sebastiao in Nordafrika 1578 gegen das muslimische Heer beendete Portugals Vormachtstellung in der Welt und ließ es kurz darauf für über ein halbes Jahrhundert unter spanische Regentschaft fallen. Nie wieder konnte die große Seefahrernation auch nur annähernd vergangene Größe wiedererlangen. Das Wort Sebastianismus bezeichnet die Zuflucht in die Hoffnung, daß der König nicht wirklich tot sei, sondern eines Morgens aus den Nebeln des Tejo wiederauferstehen und Portugal zu neuem Ruhm führen möge.

Im Jahre 1990 könnte das Eusebio im - natürlich viel wichtigeren - Fußball gelingen. Als Torwarttrainer steht er mit Benfica wieder in einem Halbfinale des europäischen Landesmeisterwettbewerbes. Das Hinspiel verlor Benfica in Marseille mit 1:2, eine günstige Ausgangsposition. „Claro, Benfica vai ganhar.“

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