: Westfalen-Endspiel der Springleute
In der Dortmunder Westfalenhalle trafen sich die Vierbeiner mit den wohlklingendsten Namen der Welt beim Worldcup-Finale im Springreiten / Europa versus Neue Welt / Sogar ein waschechter DDR-Gaul wirkte mit ■ Aus Dortmund Frau Schrenk
Schlechte Zeiten für den deutschen Springsport. Der Hausse des exportfreudigen Vierbeinermarktes folgt die Baisse bei der Reputation auf dem Fuß. Selten waren die aufsitzenden Jumper so schlecht angesehen wie in den letzten Monaten. Zwar nicht bei den Gremien und Verbänden, auch nicht bei der Mehrheit der schreibenden Zunft: die witterten Morgenluft für die teutsche Reiterei - und neue Chancen beim Gerenne ums glänzende Metall. Doch ist mittlerweile dem letzten (auch nicht im Tierschutzverein organisierten) Menschen klargeworden, daß bei der derzeit üblichen Weise des sprunghaften Bewegens zu Pferde die Huftiere zumeist das Nachsehen haben.
Selbst jene, die nicht davon ausgehen, daß ein Pferd grundsätzlich zum Springen gezwungen werden muß, halten den Hochsitzlern immer schwerere Vergehen vor. Tierquälereien, kaum mehr vorstellbare Methoden zur Leistungssteigerung seien an der Tagesordnung, lauteten die Vorwürfe, denen sich der derzeit wohl bekannteste Pferdehändler der Nation, Paul Schockemöhle, in einem Interview mit der Bewegungsillustrierten 'Sports‘ stellen mußte. Schockemöhle reagierte prompt. Statt Besserung versprach er schärfere Kontrollen - und kümmert sich seither, Seit an Seit mit Tennisfan Ion Tiriac, um immer größere und vor allen Dingen teurere Turniere.
Schneller, höher, weiter, heißt die Devise. Das Publikum will unterhalten sein - mit Katenschinken und Kaviar und spektakulären Leistungen, die ohne Doping und Gewaltdressur gar nicht möglich sind. Mit einem „Turnier der Superlative“, den „German Classics“ im Herbst letzten Jahres in Bremen, versuchte das neue Gespann seinen ersten großen Wurf in Richtung sponsorenattraktiven Reitsports. Der große Erfolg blieb noch aus. Doch die Perspektive war klar: VIP-Lounges und Schampus en gros sollen künftig ein zahlungskräftiges Publikum anlocken - und dem arg gebeutelten Tiriac über seine Becker-Neurose hinweghelfen.
Nicht unberührt vom neugeschaffenen Image der Kommerzturniere, präsentieren sich mittlerweile auch die traditionellen Veranstaltungen der Reitersleut‘ in modernisiertem Outfit. Im Trend liegt derzeit das große Geld - diese Erkenntnis vermittelte auch das Weltcupfinale der SpringreiterInnen, in diesem Jahr ausgetragen in Dortmunds Westfalenhalle, dem traditionellen Austragungsort des Dortmunder „Internationalen Spring- und Dressurturnieres“, das inzwischen mit dem schönen Namen „CSI-W/CDI“ versehen wurde.
Recht überraschend hatten die Dortmunder den Zuschlag für die entscheidende Veranstaltung des Worldcup-Zirkus erhalten. Kaum jemand hatte geglaubt, daß die Elf-Städte -Tour der Springleute ausgerechnet in der „Westfalenmetropole“ ihren finalen Höhepunkt finden sollte. Doch als es soweit war, freuten sich die Dortmunder arg und beförderten das seit Jahren vom Zuschauerschwund bedrohte Internationale Turnier kurzerhand ins Rahmenprogramm.
Morgens die Dressur, die laut Herrenreiter Holger Münstermann mit dem klassischen Grand-Prix-Secial eh‘ unzeitgemäß und deswegen am besten durch eine publikumsfreundliche Musik-Kür zu ersetzen sei. Mittags dann die Brauerei-Springen, versehen mit den höheren Weihen der „Wir in Nordrhein-Westfalen„-Propagandaagentur. Und am Abend schließlich, zur besten Fernsehzeit, nach einer bombastisch -kitschigen Lasershow: die auf drei Tage verteilten Springen zum großen Finale. Es war, wie der Sponsor Volvo, der dem Cup gleich seinen Namen gab, es sich wohl vorgestellt hatte. Der Programmablauf garantierte das Interesse der Geldgeber.
Das fachkundige Publikum kam nach Dortmund, weil es ohnehin immer kommt, und der große Rest war damit beschäftigt, den großen Unterschied zwischen „internationalen“ und „World -Cup„-Springen herauszufinden. Die Schickeria vergnügte sich derweil im „VIP-Village“ - aufgebaut in Halle 2, um Reiter, Sponsoren und „Logenbesitzer“ zusammenzuführen. „Ich könnte hier auch Walzer tanzen“, meinte resigniert ein reitender Anonymus, „den Unterschied würden die wahrscheinlich gar nicht bemerken.“
Dabei hatte alles so schön angefangen. „Turnier moderner Prägung soll Publikum wieder zurückholen“, titelten die 'Ruhr-Nachrichten‘ vorab und brachten damit die Ambitionen der Dortmunder Veranstalter auf einen hoffnungsfrohen Punkt. Ein wenig würde schon abfallen von der Anziehungskraft der weltbesten Springreiterinnen und Springreiter, so hofften die Ausrichter, und sie hatten, mißt man Attraktivität an der Zahl der verkauften Eintrittskarten, gar nicht so unrecht.
Helsinki und Amsterdam, Hannover, Berlin, Bordeaux und Brüssel, London, Antwerpen, Paris, s'Hertogenbosch und Göteborg, waren die Stationen der großen Qualifikationsrunde bis zum Endspiel in der Westfalenhalle. Wer es bisher geschafft hatte, verfügte über einen langen Atem, einen aussichtsreichen, meist überteuren Vierbeiner und oft auch über gute Kontakte zu Champagner-, Uhren-, Computer- oder Pkw-Firmen.
Der letzte Kampf sollte die Entscheidung bringen. Europa versus Neue Welt: hier sollte es ausgefightet werden. Optiebeurs Walzerkönig oder Henderson Milton, Moet et Chandon la Belletiere oder Alfa Romeo Lanciano ex Lancian, Safran (DDR!) oder Czar (Kanada), So Long oder Chin Chin jetzt hieß es Farbe bekennen. Zehn Jahre schon wanderte der begehrte Weltcup-Cup mit schönster Regelmäßigkeit nach Übersee. Hugo Simon war, 1979, der letzte Europäer, der die geliebte Trophäe in Händen hielt. Dann wurde es still um den alten Kontinent.
Der Kanadier Ian Millar plante für Dortmund den Hattrick, den dritten Sieg in Folge bei der Weltcup-Show. Doch sein Riesentier Big Ben verabschiedete sich mit einer Darmverschlingung vorübergehend in Richtung Krankenstation. Statt dessen sattelte Millar den westfälischen Warmblüter Czar. John Whitaker, zur Zeit erfolgreichster Brite, ritt das mit fast eineinhalb Millionen Mark Gewinnsumme derzeit erfolgreichste Springpferd der Welt, den bildschönen Schimmel Milton. Die Bundesrepublik setzte auf Walzerkönig und Sloothaak. Die DDR schickte Ralf Blankenburg und Safran ins Rennen - und hoffte sehr, daß der schwarzbraune Wallach wiederkehren würde, denn die Herren in den Logen nahmen jeden seiner Auftritte wie eine Verkaufsveranstaltung und raschelten hörbar mit den Euroschecks.
Den ersten Finalkampf entschied das Traumpaar Whitaker/Milton für sich, der zweite und der dritte fielen dem Redaktionsschluß zum Opfer (Ergebnisse der letzten beiden Springen daher in der morgigen Ausgabe).
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