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Angst vorm Fliegen

■ DDR-Journalisten auf der Suche nach ihrer Identität / Schreibhemmungen, drohender Arbeitsverlust und Rechtsruck beklagt / Mit gewerkschaftlicher Organisation gegen westliche Medieninvasion

Angesichts des verstärkten Engagements westdeutscher Großverlage wie Springer, Bauer, Burda und Gruner+Jahr auf dem DDR-Printmedienmarkt scheinen die Tage der Existenz einer eigenständigen DDR-Presse gezählt. Wie reflektieren Journalisten diesen Prozeß, wie beurteilen sie ihre zukünftige Situation? DDR-Journalist Hannes Schmidt hat mehrere exponierte Kollegen dazu befragt. Der Artikel ist Teil einer Serie von Beiträgen zur Medienzukunft der DDR. (Teil 1 über die Zukunft von Fernsehen und Hörfunk erschien am Donnerstag den 12. April 90)

Exemplarisches Beispiel für den westlichen Vereinnahmungsprozeß ist der „Berliner Verlag“. Bekanntlich stehen die WAZ-Gruppe/Essen und andere Interessenten mit dem größten Verlagshaus der DDR, über 1.200 Mitarbeiter, früherer SED-Besitz, in Verhandlungen. Nach westdeutschen Presseinformationen geht es um eine Beteiligung von mindestens 700 Millionen DM.

Ich bin mit Dietmar Henker verabredet. Er ist seit 1981 bei der 'Berliner Zeitung‘ und hat sich vom außenpolitischen Redakteur bis zum Chef vom Dienst hochgearbeitet. Der äußerlich robust wirkende 38jährige hat die Monate nach dem Sturz Honeckers in besonders intensiver Erinnerung. Nicht nur, daß er sich für das Überleben des Verlages und die sozialen Interessen seiner Berufskollegen einsetzt, die veränderten Umstände brachten ihm damals auch einen bemerkenswerten Innovationsschub. Alle Schreibhemmungen schienen wie weggeblasen. Der gelernte Außenwirtschaftler, dessen außenpolitisches Spezialgebiet die Philippinen sind, verfaßte akzentuierte innenpolitische Kommentare, führte ein erstes vielbeachtetes Interview mit dem in die DDR zurückgekehrten Rudolf Bahro. Außerdem schrieb er einen Artikel für die Londoner 'Sunday Times‘ über Korruptionsfälle nach der Wende. Dietmar Henker räumt allerdings ein, daß er zu diesem Zeitpunkt immer noch an die Möglichkeit einer speziellen, forcierten Perestroika -Entwicklung in der DDR glaubte.

Seit Januar 1990 ist er Mitglied der elfköpfigen Belegschaftsvertretung (Betriebsrat) des Verlages, seit kurzem ihr Sprecher. DDR-Paradoxon: Einer der beiden jetzigen Geschäftsführer des Verlags kommt aus den Reihen der Belegschaftsvertretung, war ihr Sprecher.

Worauf führt Dietmar Henker die zunehmenden ökonomischen Probleme der DDR-Presse in der gegenwärtigen Phase zurück? „Die Preissteigerungen bei unseren DDR-Presseerzeugnissen kommen entschieden zu spät. Im Januar, als unsere Zeitungen durch die Veränderungen noch Neuigkeitscharakter besaßen, hätte man diesen Schritt gehen müssen. Der Postzeitungsvertrieb argumentierte damals mit dem Problem der notwendigen Einhaltung der Inkasso-Zeiträume und genau innerhalb dieser Zeitspanne begannen die BRD-Großverleger ihre Zeitungen bei uns zu vertreiben und schließlich 1:1 zu verkaufen.“

Ein anderer Grund für anhaltende Existenzunsicherheit der Verlagsmitarbeiter scheint ihm das zögerliche Verhalten der PDS hinsichtlich des Parteivermögens. Nach monatelangem Stillschweigen, einer Art Hinhalte- und Verzögerungstaktik, bekannte sich die PDS zu ihrem Eigentum und begann gezielt Joint-venture-Verhandlungen mit westdeutschen Großverlagen.

Da zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch nicht auszuschließen ist, daß das Haus Axel Springer in den „Berliner Verlag“ einsteigen will, sieht er die reale Gefahr eines Rechtsrucks im politischen Profil der Verlagsblätter. Also der mögliche Übergang von einem früheren SED-Parteijournalismus zu einem Boulevard-Journalismus westlicher Prägung.

Wie schwierig es ist, einen andauernden Demokratisierungsprozeß in der Medienlandschaft der DDR durchzustehen, wie er eigene Vorstellungen korrigieren mußte, wurde ihm im Grunde schon im Januar bewußt. Die Rufe „Deutschland, einig Vaterland“ erreichten ihn im Februar in Manila. „Medico international“, ein in Frankfurt/Main beheimateter Verein mit konkreten Dritte-Welt -Unterstützungsprojekten u.a. auch für Nicaragua und El Salvador, hatte ihn eingeladen, zwei Wochen die philippinische Provinz zu bereisen. „Diese Begegnungen mit den Menschen der Dritten Welt und ihren existentiellen Problemen machten mir auch die Gefahren eines deutschlandzentristischen Journalismus klar, der für mich nur der Vorbote eines neuen, unheilvollen Nationalismus ist.“

Auf dem außerordentlichen DDR-Journalistenkongreß Ende Januar 1990 wurde Dietmar Henker zu einem der stellvertretenden Vorsitzenden des Verbandes gewählt, verantwortlich für Rechtsfragen und Soziales. Da die meisten DDR-Journalisten gleichzeitig auch gewerkschaftlich organisiert sind, sieht er sein künftiges Betätigungsfeld vor allem auf dieser Ebene. „Wir müssen unseren althergebrachten Glauben an irgendwelche übergeordneten Gremien überwinden. Es ist ein Erschrecken und eine große Lust zugleich, daß wir uns jetzt um alles selber kümmern müssen, zum Beispiel um unsere Arbeitsplätze und die Einhaltung bzw. Durchsetzung neuer Tarifverträge.“ Angesichts der bundesdeutschen Medieninvasion hält Dietmar Henker nicht viel von taktischen Überlegungen und plädiert ganz ungeschminkt für eine starke, gesamt-deutsche IG Medien, in der auch die DDR-Journalisten ihren Platz haben. Das wäre eine Möglichgkeit, dem Wildwestspiel der westdeutschen Großverlage gemeinsame gewerkschaftliche Haltungen und tarifpolitische Forderungen entgegenzusetzen.

Gerd Kurze sitze ich in seinem Büro in der Friedrichstraße gegenüber, aus dem Fenster der direkte Blick auf die Hallen des geschäftigen Ost-West-Verkehrsknotenpunktes. Seit 26. Januar 1990 ist er neuer Vorsitzender des Vorstandes des Verbandes der Journalisten der DDR (VdJ), dem einzigen Journalistenverband mit etwa 9.000 Mitgliedern. Der 40jährige studierte in Leipzig Journalistik und war ab 1973 Redakteur der Hauptabteilung Außenpolitik im Rundfunk der DDR mit dem Spezialgebiet Sicherheit und Abrüstung. Seit Herbst 1989 behandelte er in seinen Funkkommentaren fast ausschließlich Fragen der DDR-Medienpolitik. In dieser Zeit wurde er auch von seinen Kollegen zum Sekretär der Kommission zur Erarbeitung des Mediengesetzes im Rundfunk gewählt. Von da führte ein gerader Weg zur Sprecherfunktion der Arbeitsgruppe Mediengesetz der Berufsverbände (Journalistenverband, Verband der Film- und Fernsehschaffenden, Schriftstellerverband). Kurze bestach in der Arbeit der basisdemokratischen Gruppen für eine vorläufige Mediengesetzgebung vor allem durch seine Moderatorenqualitäten. Schließlich die Mitarbeit in der Regierungskommission Mediengesetz. Bis dahin die Überzeugung und das Gefühl, mit seiner Arbeit etwas für die demokratische Gestaltung der DDR-Medienlandschaft zu tun, eine verkappte Wiederholung der stalinistischen Zustände der Vergangenheit auszuschließen: „Die Medien und ihre Macher waren nun endlich in der Lage, der Gesellschaft den Spiegel vors Gesicht zu halten.“ Ein knappes Vierteljahr Pressefreiheit und der Volkskammerbeschluß von Anfang Februar über Informations-, Meinungs- und Medienfreiheit schienen eine solche Einschätzung zu bestätigen. Was allerdings danach kam, da stimmt er in der Einschätzung mit Dietmar Henker überein, glich einem Erdbeben, einer Art Sintflut, wie sie sich im ungehemmten Vertrieb westdeutscher Zeitungen und Zeitschriften und im gezielten Preiskrieg ausdrückte. Der bereits begonnene Prozeß der Wahrheitsfindung, der Selbstverständigung und Aktivierung wurde abrupt unterbrochen.

Kurze vergleicht den damit einsetzenden und anhaltenden Zustand mit dem des freien Falls, wobei die Beteiligten halb betäubt durch die Umstände dieser Bewegung seien, ein Zustand übrigens, der größte Teile der DDR-Gesellschaft erfaßt habe. Ich frage ihn, wie er in dieser Situation Identität, Selbstverständnis und Selbstbewußtsein von DDR -Journalismus definiert? Kurze meint, dies sei mehr ein Thema für Germanisten und Historiker, einen realen Wert billigt er einer solchen Identität nicht mehr zu. Ziel, so hofft er, auch für uns, solle ein Journalismus sein, der der Gesellschaft nutzt, indem er ihr nichts mehr vorgaukelt. Es sei ein Problem, eine Meinung zu haben und diese Meinung auch ausdrücken zu können. Da er selbst jahrelang Kommentare verfaßt habe, falle ihm auf, wie schwierig es innerhalb der innenpolitischen Ereignisse sei, einen erkennbaren, originellen Standpunkt zu beziehen. Dazu komme erstmals das Problem der Infragestellung der eigenen Existenz. „Es scheint als werde jetzt die Marktwirtschaft mit unseren Presseerzeugnissen machen, was sie wolle und uns damit gleichzeitig unsere letzte Chance nehmen, Demokratie im Medienbereich im Selbsttraining zu erlernen.“ Zukunftsängste, Resignation und Orientierungslosigkeit machten sich in den Redaktionsstuben breit. Gleichzeitig sieht Kurze in dieser unfreiwilligen, aufgezwungenen Situation eine Chance, sich von Anfang an den Problemen und ihrer Aufarbeitung zu stellen. Wie sein Verbandsstellvertreter Dietmar Henker sieht er eine Möglichkeit, kein Allheilmittel, im politischen Kampf, in der notwendigen Verbreiterung der Basis der gewerkschaftlichen Arbeit. Kurze und der VdJ-Vorstand plädieren für eine möglichst umfassende und einige gewerkschaftliche Interessenvertretung aller Journalisten und Medienmitarbeiter, die Gründung einer vereinten Industriegewerkschaft Medien der DDR.

Ich spüre dem dynamischen Gerd Kurze das Selbstbewußtsein an, das ihm seine neue Funktion gibt. Patentlösungen gibt es nicht, aber den täglichen, praktischen Einsatz für die Interessen der Kollegen. In einem Artikel an seine Kollegen schrieb er bereits im Januar vorausschauend: „Ich empfehle, die Angst vorm Fliegen schnellstens zu verdrängen, sie zu überwinden, indem wir die geeignete Haltung einnehmen: Engagement, Ideen und Kreativität sind ihre Kennzeichen. Wer der über uns alle hereingebrochenen Unsicherheit begegnet wie das Kaninchen der Schlange, der ist wirklich in Gefahr.“

Hannes Schmidt

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