Kein Combeback für den Regenwald

■ Wissenschaftler simulieren anhand von Computermodellen die Zukunft am Amazonas / Einmal abgeholzt, hat der Regenwald keine Chancen nachzuwachsen / Dramatische Veränderungen im Klimahaushalt

Was der Laie bereits ahnt, stellten amerikanische und brasilianische Wissenschaftler anhand von modernsten Computersimulierungen nun fest: Die Regenwälder des Amazonas sind im wahrsten Sinn des Worts einmalig. Werden sie abgeholzt, sind die Chancen gering, daß sie jemals wieder nachwachsen.

Im brasilianischen Amazonasgebiet werden gegenwärtig jährlich zwischen 25.000 und 50.000 Quadratkilometer Wald abgeforstet. Hält der Trend an, sind die Wälder in 50 bis 100 Jahren verschwunden. Das gänzliche Abholzen der Regenwälder, das ergaben die komplexen Computermodelle, erhöht die Temperaturen und vermindert die Niederschläge im Amazonasbecken. Die veränderten klimatischen Bedingungen werden aber auch die Neuentwicklung des Regenwaldes verhindern.

Das verwendete Computermodell ist exakter als frühere Modelle, weil es die Rolle der Vegetation bei der Klimabildung voll einkalkuliert. Die Tatsache, daß nicht nur das Klima die Vegetation beeinflußt, sondern andersherum die Lebewesen der Erdoberfläche - die Biosphäre - sich auf das Klima auswirken, wird erst in jüngerer Zeit zunehmend in Modellen berücksichtigt. Das „dynamische Gleichgewicht“ zwischen Biosphäre und Atmosphäre haben die Wissenschaftler in ihrer neuen Computersimulation durch die Koppelung zweier Modelle nachgeahmt. Das Atmosphärenmodell beschreibt und kalkuliert unter anderem Windrichtung und -geschwindigkeit, Luftdruck, Lufttemperatur und Luftfeuchtigkeit, Regenfall und Sonneneinstrahlung. Das Biosphärenmodell dagegen berücksichtigt Faktoren wie Temperatur in den Baumkronen, Temperatur am und im Boden, die Fähigkeit verschiedener Vegetationsarten, Wasser auf ihrer Oberfläche zu speichern, und die Wasserspeicherkapazität verschiedener Bodenarten.

Zunächst simulierten die Wissenschaftler den Verlauf eines Jahres im Amazonas unter heutigen Bedingungen. Diese Ergebnisse dienten als Kontrolle. Dann wiederholten sie die Simulierung, wobei sie die Fläche des heutigen Regenwaldes durch abgeholztes Weideland ersetzten. Die Parameter für den Kontrollfall entnahmen die Forscher der Literatur und eigenen Messungen im Amazonas. Die Daten für den „Entwaldungsfall“ stammen von Forschungsarbeiten in entwaldeten Gebieten. Ein Vergleich der beiden Simulierungen zeigt, daß die Entwaldung des Amazonas entscheidende lokale Klimaveränderungen auslösen würde. Die Durchschnittstemperaturen im entwaldeten Amazonasgebiet liegen ein bis drei Grad höher als im Regenwald, die Niederschläge sinken um 26 Prozent. Die Verdunstung ist in der Weidelandschaft dreißig Prozent geringer als im Regenwald.

Bekannt war bereits, daß die lokale Verdunstung für etwa die Hälfte der Niederschläge im Amazonas verantwortlich ist. Die andere Hälfte speist sich mit der Feuchtigkeit, die durch Winde von außerhalb herangetragen wird. Es wäre also nicht verwunderlich, wenn die Niederschläge in der Weidelandschaft entsprechend der niedrigeren Verdunstungsrate sinken. Die jetzige Studie ergab jedoch, daß die Regenfälle stärker sinken als durch die geringere Verdunstungsrate erklärbar ist. Um achtzehn Prozent, so das Modell, sinkt die Nettomenge der von außerhalb in das Gebiet eingebrachten Feuchtigkeitsmengen. Rätselhaft bleibt den Wissenschaftlern, wie sich die Entwaldung derart drastisch auf die atmosphärischen Feuchtigkeitskreisläufe des gesamten Kontinents und der umgebenden Meere auswirken kann. Ihre Prognose für den Amazonas ist jedoch klar: Einmal abgeholzt, wird der Regenwald nicht wieder entstehen.

Die verminderten Regenfälle einer Weidelandschaft würden eine Verlängerung der Trockenperiode in dem Gebiet zur Folge haben. Dies würde das Neuwachstum der Regenwälder verhindern. Die Autoren warnen, daß schon eine geringfügige Verlängerung der Trockenperiode durchgreifende ökologische Veränderungen bewirken könnte. So seien etwa deutlich mehr Waldbrände zu erwarten. Außerdem könnte der Zyklus der für die Befruchtung der Regenwaldpflanzen verantwortlichen Lebewesen durcheinandergeraten. Verbleibende Regenwaldbestände wären somit zunehmend gefährdet. Die neue Computerstudie gilt als bisher exakteste Simulierung der Beziehungen zwischen Niederschlägen und dem Amazonasregenwald.

Ein Klimatologe des amerikanischen „Nationalen Zentrums für Atmosphärische Forschung“ (Bundesstaat Colorado) kritisierte jedoch, daß die Studie erst dann glaubhaft werde, wenn die jährlichen Schwankungen der Niederschläge im Amazonasgebiet berücksichtigt würden. Dank Veränderungen von Wasser- und Luftströmungen im Atlantik und Pazifik sind die Niederschlagsmengen im Amazonas von Jahr zu Jahr sehr unterschiedlich.

Silvia Sanidis