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(Ver)teile und herrsche

Ostberliner Ingenieure kämpfen für ihr (Volks)eigentum Demonstration vor der Volkskammer  ■  Aus Ost-Berlin Anja Baum

Die Volkskammertagung als neuer Demonstrationstermin - das könnte Tradition werden. Vor einer Woche waren es die Bauern, gestern die über 600 Ingenieure und Architekten aus dem Betrieb Projektierung des Ingenieurhochbau Berlin. „Bisher haben wir zusammen gebaut, nun werden wir vom HD beklaut“, stand auf einer ihrer Losungen, mit der sie während der Arbeitszeit zur Volkskammer zogen. HD ist der Hauptdirektor, Oberingenieur Wachholz'des bisherigen Kombinates IHB, das demnächst in eine GmbH mit verschiedenen Tochtergesellschaften umgewandelt werden soll.

Aber nicht hier liegt das Problem, denn mit marktwirtschaftlichen Prinzipien hat man sich angefreundet. Doch Voraussetzungen für die Eigenständigkeit der zukünftigen Tochtergesellschaften sind ein gewisser Grundstock an Kapital. Mit diesem Problem schlagen sich derzeit auch andere Kombinate herum. Wie verteilt man nun das, was vorher allen zugleich, doch niemandem richtig gehörte? Noch komplizierter wird es mit den nichtproduktiven Grundmitteln wie Ferienhäusern, soziale Einrichtungen oder Verwaltungsapparate. Da geht der Streit schon los, denn die Mitarbeiter des Betriebes Projektierung fühlen sich durch einen Beschluß der Kombinatsleitung um ihren Anteil betrogen. Jedem der anderen der acht zum Kombinat gehörenden Betriebe wurden die Gebäude, in denen bisher gearbeitet wurde, zur Verwaltung übergeben. Der Betrieb Projektierung jedoch ging leer aus. Das Haus, in dem die IngenieurInnen bisher saßen, soll mit den anderen unproduktiven Bereichen bis zum 1. Juli in eine „Service GmbH IHB“ einfließen, die von der jetzigen Kombinatsleitung verwaltet werden soll. Wie daraus hervorgehende Gewinne verwandt werden, konnten die Chefs noch nicht erklären.

Die 600 KollegInnen von der Projektierung sind vor allem deshalb wütend, weil wieder einmal über ihre Köpfe hinweg entschieden worden ist. Der fertige Beschluß landete sofort auf den Tischen der Betriebsleitungen. Der Chef der Projektanten, Oberingenieur Thomas Hering, ließ das nicht auf sich beruhen. Zusammen mit dem Betriebsrat und der BGL stellten sie in einer Vollversammlung einen Mißtrauensantrag an den Kombinatsdirektor Wachholz und beschlossen, vor die Volkskammer zu ziehen. „Es ist nicht so, das wir nicht verhandeln wollen, aber wir müssen unserem Anliegen auf diese Weise Nachdruck verleihen“, sagte Frau Brandes von der BGL.

Die Kombinatsleitung erklärte gegenüber der taz, daß es sich erst einmal um keinen endgültigen Beschluß handle. Es sei ein Irrtum seitens des Betriebes Projektierung, versicherten Peter Lübke, stellvertretender Ökonomiedirektor und Heinz Schneeweiß, der stellvertretende Kombinatsdirektor. Kurz vor der gestrigen Demonstration kam es doch zu einem Gespräch zwischen Direktor Schneeweiß und den Betroffenen Die Verhandlungen zwischen Kombinatsleitung und Projektierung sollen am kommenden Montag beginnen.

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