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Autonome besetzen selbstverwaltetes Haus

In Kreuzberg wird erstmals ein selbstverwaltetes Hausprojekt besetzt / 20 BesetzerInnen stellen „Eigentumsfrage“: Wer hat das Recht auf den Dachboden? / 150 Bewohner sind ratlos / Keine Hilfe von anderen ehemals besetzten Häusern / Die haben selbst Angst vor Besetzung  ■  Aus Berlin Dirk Wildt

Anfang der 80er Jahre war das Feindbild der Hausbesetzerszene einfach: der Immobilienspekulant. Im Berliner Politkiez Kreuzberg kommt diese Tage ein weiteres Feindbild hinzu: Eigentümer und Mieter selbstverwalteter Häuser. 20 Leute besetzten in der vergangenen Woche die Dachterasse eines der am längsten selbstverwalteten Häuser Berlins: der Wassertorplatz.

Die Besetzer kamen allerdings nicht zum ersten Mal. Beim ersten Mal, Anfang April, hatten die Bewohner versucht, die unerwünschten Gäste selbst rauszuwerfen. Ohne Erfolg. Dann holten sie die Polizei. Nur: die geräumten Besetzer kamen in der vergangenen Woche wieder - mit Verstärkung: 200 Autonome zeigten vor dem Hauskomplex (schwarze) Flagge. Türen wurden aufgestemmt und eingetreten, die Schlösser aufgebohrt. Die BewohnerInnen guckten hilflos weg. Die 20 Dachbodenstürmer richten sich seitdem auf einen längeren Aufenthalt ein. Auf Flugblättern fordern sie Gleichgesinnte auf, „den massigen Raum zu nutzen“. Sonntags findet bereits unterm isolierten Dach das wöchentliche „Kiezpalaver“ statt: Eine Sammelsurium von Kreuzbergs radikal Andersdenkenden. Und unter der Woche werden die ständigen Freudenfeten mit „lauter Musik und Rumtrampeln“ (Bewohner) bis tief in die Nacht gefeiert. Die Bewohner unter dem Dachgeschoß müssen „vorübergehend ausziehen, unfreiwillig verreisen oder woanders schlafen“. Die lauten Gäste wollen sich jetzt einen Teppich besorgen. Gehen wollen sie jedenfalls nicht.

Statt dessen stellen die Ruhestörer „das Eigentumsrecht in Frage: Wer hat das Recht auf diese Dachgeschosse und warum?“ (Flugblatt). Und die Antwort geben sie gleich mit: „Seit der Erstürmung durch hauseigene Bürgerwehr wissen wir, daß sich ihr Umgang mit ihrem Hauseigentum nicht von dem kapitalistischer Spekulanten unterscheidet!“ Darüber hinaus ist Selbsthilfe an sich schon verwerflich. Denn das Bundeskriminalamt in Wiesbaden soll schon 1978 festgestellt haben: „Selbsthilfe muß im Vordergrund stehen. Weil mehr Verwirklichung der eigenen Persönlichkeit und mehr Integration in die Gemeinschaft die Neigung zu kriminellen Verhalten mindert.“ (Flugblatt). Nur was kriminell ist, ist politisch einwandfrei?

Allerdings vergessen die Autoren in ihrem zehn Seiten dicken Flugblatt, daß es ohne Selbsthilfe weder „ihren“ Dachboden geben würde, noch das Haus am Wassertorplatz. Denn der Gebäudekomplex vis a vis der U-Bahn-Station Kottbusser Tor sollte 1978 abgerissen werden. Doch die heutigen Bewohner leierten damals dem CDU-Senat 20,4 Millionen D-Mark raus. Ein Teil des Geldes kam vom Bund. 3,6 Millionen D-Mark mußten die Instandsetzer selbst aufbringen. Entweder durch Kredit oder Arbeit. Heute sind sie Eigentümer. Vertraglich ist festgelegt, daß in jeder Wohnung bis auf ein Zimmer jeder Raum bewohnt sein muß. Der Dachboden ist Gemeinschaftsfläche. Unter anderem sind dort oben sechs Gästezimmer eingerichtet. Wer aus dem Haus auszieht, darf sein Eigentum nur zu dem Preis verkaufen, zu dem er ihn erworben hat.

Daß die Bewohner am Wassertorplatz mit ihrer Stahl-Glas -Konstruktion auf dem Dach „wirklich schön“ wohnen, mögen sie kaum zugeben. Zu erzählen, daß ihre Hausgemeinschaft einem „Dorf“ ähnelt, in dem „sich alle kennen, wo man Leute trifft, mit denen man quatscht“, macht ihnen noch keine Probleme. Aber wenn Andrea (35), Sozialarbeiterin erzählt, „daß manche Leute auf uns neidisch werden, dann denke ich, daß ich es eben besser hab“, hört sich das fast wie ein Geständnis an. Peter (38), Student der Kommunikations -Wissenschaften, will gar abwiegeln: „Nicht, daß das Mißverständnis aufkommt, wir hätten uns hier wahnsinnige Dinger aufgebaut.“ Und „das Recht, daß wir uns selbst aussuchen, mit wem wir wohnen wollen, sehen die Besetzer als Egoismus an“, sagt die zweitälteste Bewohnerin Beate (60), Kunsthandwerkerin. Anne (33), Architektin, gibt dann zu: „Wir lassen uns ein schlechtes Gewissen aufdrängen.“

Der Hausbesetzerszene aus den vergangenen 80er Jahren scheint es kaum anders zu gehen. Bei einem Treffen am vergangenen Mittwoch von Bewohnern ehemals besetzter Häuser stieß die Auseinandersetzung um die Dachterasse auf wenig Interesse. „Die sitzen ja auch im Trockenen“, empört sich eine vom Wassertorplatz. Aber vielleicht nicht mehr lange. In mindestens zehn solcher Häuser sollen die Böden ebenfalls mehr schlecht als recht genutzt werden. Auch Mittwoch „saßen wir auf einem leeren Dachboden“, so die Frau vom Wassertorplatz. „Die haben jetzt selbst Angst, besetzt zu werden.“

Eins haben die Besetzer den Besitzern jedenfalls voraus: Das gute Gewissen. Sie fühlen sich einfach im Recht, setzen sich wie selbstverständlich in das selbstverwaltete Nest. Dabei sind die Dachbesetzer nicht einmal wohnungslos. Bei einer Diskussion mit den Bewohnern stellte sich heraus, daß nur drei von 14 keine Wohnung haben. Um Wohnungsnot geht es nämlich nicht, sondern um „kollektives Wohnen“: Mit 20 zusammen in einer Wohnung oder unter einem Dach. Ob dies einem Kollektiv von 150 Bewohnern gefällt, ist egal.

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