: Die Truppe schweigt zum Grenzzerfall
■ Die in Zukunft arbeitslosen Grepos geben sich wortkarg und hoffen das Beste / Momentane Nebenbeschäftigung: das Verkaufen von Orden
Der Zerfall eines Staates macht sich am deutlichsten am Zustand seiner Armee bemerkbar. Schon so gesehen, ist die DDR nur noch ein vorübergehendes Ereignis. Erst recht, nachdem der Ministerpräsident am Donnerstag freie Fahrt für alle Bürger innerhalb der Grenzen von 1990 verkündet hat. Die Kontrollen fallen im Sommer weg, „Guden Daag, ihre Babiere bitte!“ wird es von Leipzig nach Hamburg nicht mehr geben. Die Moral der Truppe ist dementsprechend. „Was werden Sie denn in Zukunft kontrollieren?“ wollte die taz von den Grepos am Brandenburger Tor wissen. Schulterzucken und die Antwort, die sattsam bekannt ist: „Wir sind nicht berechtigt, Ihnen Auskunft zu geben“. Der, der's dann war, ein Oberst, wußte auch nichts Neues zu berichten. „Unser Innenminister hat ja noch nichts Konkretes gesagt“, entschuldigt er sich. Das jeder demnächst unbehelligt verbotene Würste oder geklautes Silber über den Potsdamer Platz tragen kann, ist ihm sichtlich unverständlich. „Irgend etwas wird es schon noch geben“, macht er sich Mut, „schon wegen dem Rauschgift.“ Da aber wird wohl eher der Wunsch der Vater des Gedankens sein. „Keine Kontrollen mehr“ im einig Vaterland, verkündete der zukünftige Dienstherr der Grenztruppen, Innenminister Diestel, DSU.
Wie weit der Zerfall der Armee schon gegangen ist, ist bei einem Spaziergang entlang der Ex-„Friedensgrenze“ zu erfahren. Vor dem Brandenburger Tor verkaufen fliegende Händler Orden für die vor einem Jahr noch jeder Volksarmist in Bestzeit über die Hindernisbahn gehechelt ist. Die Händler, die allesamt ihre Namen nicht nennen wollen, machen dabei satte Profite. Die diversen Anerkennungsmedaillen sind noch die billigsten. Für zwei Mark ge- und für sieben Mark verkauft sind sie nur glitzernde Staffage für die wirklichen Geldbringer. Ein „Stern der Völkerfreundschaft“, bei der Verleihung mit 10.000 Ostmark garniert und für einen gewöhnlichen Gefreiten höchstens durch Sprengung des Nato -Hauptquartiers erreichbar, bringt im Verkauf 400 Mark. Der Einkaufspreis richtet sich nach dem Wissensstand des Verkäufers, der sich oft mit viel weniger nach Hause schicken läßt. Schulterstücke eines Offiziers kosten zehn, eines Generals („Davon gab es nicht so viele“) 50 Mark und mehr.
Der Clou beim Medaillendealen ist aber, daß die Orden meist direkt von den ehemals stolzen Besitzern geliefert werden. Die Nationale Volksarmee verkauft sich selbst. Abends kommen dann schon mal die Nochsoldaten über die Grenze und bieten Ehrendolche aus Edelstahl für 80 Mark an. Weiterverkauft werden sie dann für 200 Mark. Auf diesem Weg kommen auch Stahlhelme, Pistolentaschen und ganze Uniformen in die Auslagen. Eine komplette Offiziersuniform, mit Orden und Klappen, wurde für 600 Mark angeboten. „Zwanzig Jahre MfS“ kostet 30 Mark, die Medaille zum Vierzigsten schon 400 Mark, „weil die Maschinerie mittendrin aufhören mußte“. Die Wende war da.
Auch die Zivilisten verhökern kräftig. SED-„Bonbons“ kosten je nach Alter 5 bis 15 Mark, Aktivistenmedaillen 20, mit Urkunde 50. Einer hat den Architekturpreis der DDR für 400 Mark abgegeben. Der Hit aber war ein Karl-Marx-Orden. Der wurde glatt für 1.300 D-Mark gehandelt.
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