: EIN HAUCH VON PANIK
■ „Planten en Bloemen“ von Volker Schneider in der NGBK
Pralle Auberginen sehen dich an, als wären sie mit Dynamit gefüllt. Armdicke Gurken mit gefestigter Zellstruktur bieten sich zum Knüppeleinsatz an. Nach dem Besuch von „Planten en Bloemen“, Volker Schneiders Projekt zur Gentechnologie, betrachtest du die gestern noch als appetitlich empfundenen Auslagen am Gemüsestand mit anderen Augen. Du gierst förmlich nach dem Makel, nach dem eingetrockneten Kohlblatt, der schrumpeligen Frucht und der fleckigen Schale als letztem Beweis des natürlichen Wachstums. Ha, kein Problem! reiben sich die Gentechnologen die Hände. Selbst den Wurm, der im Apfelgehäuse das braune Gekröse hinterläßt, werden sie noch in den Griff bekommen, auf daß er Marzipaniges ausscheidet.
„Planten en Bloemen“ ist die zweite Ausstellung, in der Volker Schneider einen Ausschnitt aus der Praxis der Naturwissenschaft in den Kunstkontext verschoben hat. Der Künstler wird zum Versuchsanleiter, der den Betrachter das Mißtrauen in seine vertrauten Wahrnehmungsmuster lehrt. Kunst bezieht sich nicht mehr nur abbildend und kommentierend auf die Realität, sondern wird zum Teil von ihr. Schon der niederländische Klang der Ausstellung „Planten en Bloemen“, die im Realismusstudio der NGBK gezeigt wird, läßt imaginäre Tulpenfelder satt bis zum Horizont aus dem Boden schießen. Die Gemeinheit der Inszenierung liegt in ihrer Unauffälligkeit. Eine Kiste mit frischem Gemüse, ein Musterkoffer für das Lernspiel der möglichen Kombinationen von bakteriologischen, pflanzlichen, tierischen und menschlichen Genen, ein Regal mit Nährschälchen, ein Schulfilm, ein Balkon mit alltäglichen, vor sich hin kümmernden Grünpflanzen - nichts Sensationelles. Doch zwischen den vertrauten Formen der Wissenschaftspräsentation und den Produkten unserer gegenwärtigen Umwelt geraten die Grenzen zwischen dem theoretisch Machbaren und dem schon Realität Gewordenen ins Rutschen. Unterscheidungskriterien versacken in grünschleimigen Nährböden. Grünrankendes umklammert Natur und Künstlichkeit. Die Genmanipulation scheint auf einmal nicht mehr durch die sieben Siegel einer Geheimwissenschaft nur den kontrollierenden Händen von Spezialisten zugänglich.
In Schneiders Schulfilm „Cloning at Home“ suggeriert die seriöse und sachliche Form der Vermittlung - Einblendung der einzelnen Arbeitsschritte, Hinweise auf die Bezugsquellen der Stoffe, Schematafeln zu den chemischen Prozessen in den Zellen -, der Inhalt bliebe kontrollierbar. Das junge Mädchen, das mit starrem Blick und straff gekämmten Haaren wissenschaftliche Formeln aufsagt, wird zu einer bedürfnislosen Sprechmaschine, selbst schon Beweis einer erfolgreich funktional angepaßten Zucht. Den Vorgang der Manipulation führen an einfach zu bedienenden Laborgeräten anonyme Hände aus: Die Zerlegung der Arbeitsschritte in Großaufnahmen nimmt dem Handeln seine Verantwortlichkeit.
Schneider simuliert in seiner Installation nicht nur die Anlage eines Forschungslabors; die Ausstellung selbst wird vielmehr zu einer Teststrecke der eigenen Leichtgläubigkeit und des Vertrauens in die bloßen Formen der wissenschaftlichen Darstellung. Leicht ist der Blick des Laien zu irritieren, und vom bloßen Augenschein läßt man sich durch eine komplexe Begrifflichkeit sofort ablenken. Eine Tafel mit weiß gelackten Objekten, dadaistisches Sammelsurium in sterilem Design, weist einen Löffel als Reagenzglas, eine Tube als Geigerzähler, eine Streichholzschachtel als Sequenzieranlage und einen Dosendeckel als Pinzette aus. Trotz des offensichtlichen Unsinns bleibt der Zweife, ob nicht der Inkubator oder die Zählkammer doch zu den echten Utensilien von... - nicht mal, von was eigentlich, ist begreifbar - gehört. Allein das antiseptische Weiß verbürgt sich für den Ernst der Sache, die den Griff des Experten verlangt, längst auf die Einbildung trainiert, ohne technische Hilfsmittel im Reich der Naturwissenschaft ohnehin nichts mehr erkennen zu können, gibt man jeden Versuch, selbst zu beurteilen, sofort auf.
Selbst die Ausstellungsdauer ist Teil einer Strategie der Verunsicherung. Vom 13. April bis 13. Mai geöffnet, verbreitet sie nicht nur unter Abergläubischen einen Hauch von Panik. Genau zwischen Karfreitag und Muttertag, zwischem dem Tag der Kreuzigung des berühmtesten lebenden Leichnams unserer Kultur und der kompensatorischen Verherrlichung der Frau als Gebärmaschine angesiedelt, erinnert sie erstens daran, daß die Grenzen zwischen Lebendem und Totem schon immer dünner waren als gemeinhin geglaubt und läßt zweitens mißtrauisch erahnen, daß die „natürliche Reproduktion“ vielleicht auch nur die mythische Verbrämung einer inzwischen veralteten Technologie ist.
PS: Die internationalen Pelzhändler gieren nach seinem kurzen, weichen und lockigen Fell; die französischen Köche loben Zartheit und Festigkeit seines Fleisches: „Ourilac“ heißt der neue Kistenhase mit dem Supergen „Rex“, vorgestellt im Fernsehen in den „Tagesthemen“ von einem, der sich „Agrarforscher“ nennt. Nach zehnjähriger Züchtung in Frankreich wurde dies mit Tausenden von Hasenherzen schlagende Luxusbedarfslager zum neuen Exportschlager.
Katrin Bettina Müller
„Planten en Bloemen“, ein Projekt zur Gentechnologie von Volker Schneider in der NGBK, Tempelhofer Ufer 22, bis 13.5., mo-fr 10-17 Uhr, so 13-17 Uhr. Im Katalog für 10DM sind Ligase, Isopropanol und TE-Puffer für das Experiment „Cloning at Home“ eingeschweißt.
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