Spanier, Schaum vor dem Mund

■ Antonio Saura, Malerei 1956-1985

Antonio Saura, im Lenbachhaus in München mit Gemälden aus den Jahren 1956 bis 1985 vertreten, schreitet als Torero der Malerei in die Arena. Mit eleganter Gebärde und vehementem Schwung zelebriert er ein Gemetzel, inszeniert er Malerei als Ausbruch existentieller Urgewalten. Was sich da in scheinbar rasender Geschwindigkeit dem Betrachter entgegenschleudert, wirkt als Schock und bleibt schwer verdaulich. Immerhin tränkt ein abendländisch-metaphysischer Dualismus die großformatigen Werke: der schwarze Bildgrund, Erde oder Nacht, scheidet sich klar vom abgetönten Licht im oberen Bildteil. Am Horizont jedoch zerreißen unsichtbare Kräfte die Erde, bis aus der Explosion sich eine ungeheure Fratze herausarbeitet - eines jener für Saura so bezeichnenden Monster.

Nicht zufällig erweist sich Saura denn auch als würdiger Enkel der spanischen Großmaler, deren dramatisches Szenario hier mit den Mitteln der Moderne fortgesetzt wird. Von Velazquez etwa stammt das Prinzip der schwarzen Hintergründe, die einen hellen Körper fast schmerzlich aufleuchten lassen. Bei Goya wiederum finden sich leidende Kreaturen und einander malträtierende Menschen; sein zu Boden gedrückter Hund, der den zwölfjährigen Saura im Prado beeindruckt, liefert den Anstoß für die fratzenhaften Bildnisse (z.B. Le Chien de Goya, 1979 und 1981; Retrato imaginario de Goya, 1963). Die Reihe der „imaginären Porträts“ verbeugt sich vor diesem Meister der Schreckensbilder. „Alle diese Arbeiten über Goya und die anderen Bildnismaler entstehen schon sehr früh aus Sauras eigener, lebenslänglicher Mal-, Qual- und Quälgeschichte. Auf den ersten Blick registriert man die 'energetische Transformierung‘ als Dauerthema. Ikonographisch ergibt sich dabei immer wieder Kruzifikation und Dämonisierung, Folter und physiognomisches Geständnis, Marter und Talar. Also das große allmächtige Inquisitionsritual in mehr oder minder bewußter Landestradition.“ (Arnulf Rainer über den „Malinquisitor“ Saura)

Saura, selbst früh durch Krieg und lange Krankheit geprägt, begann wie Tapies im Umkreis des Surrealismus, um sich dann bald dem Informel zuzuwenden. 1956 formen sich mit heftigem Pinselstrich aus grauschwarzen Farbknäueln Köpfe, die zu Bildern der leidenden, gepeinigten Kreatur werden. Solche Arbeiten lassen sich in der Franco-Ära auch politisch lesen. Der Exil-Spanier verbindet Abstraktion, gestischen Ausdruck und Gegenständlichkeit - auf der Suche nach der „alten Form“ eines Goya oder Velazquez: eine bildnerische Objektivität, die die Willkür des Regimes und dessen offizielle Kultur unterlaufen soll.

Ab 1957 findet er Resonanz bei engagierten Kunstsammlern, Schriftstellern und Dichtern, doch erreichen die unhandlichen Werke kaum ein breiteres Publikum. Bis in die siebziger Jahre bleibt Saura ein krasser Außenseiter auf der Kunstszene: zu gegenständlich für den abstrakten Expressionismus und dessen Abgesang auf die „Figur“, zu stilisiert für das Informel, zu symbolisch-dräuend für den Realismus der sechziger Jahre. Erst das mittlerweile neu erwachende Interesse am Figurativen wie an der einzelnen Künstlerpersönlichkeit - jenseits allgemeiner Stilrichtungen - läßt Saura nun zu einem gefeierten Repräsentanten der spanischen Moderne aufsteigen.

Die Ausstellung, die weniger eine Retrospektive als einen Einstieg in diese unbequeme Malerei versucht, zentriert sich um vier Themenkreise. Ähnlich wie in Goyas imaginären Porträts beschäftigt sich Saura auch in den Frauenbildnissen vornehmlich mit dem Chaos, aus dem die Gestalten hervorgehen; Verzerrung und Brutalität der Gesichter bleiben als Spuren eines solchen Vorgangs. Dabei liegt eine strenge Grundstruktur diesen Porträts (Geraldine dans son Fauteuil, 1967; Regine dans son Fauteuil, 1979) zugrunde, die den heftigen Pinselstrich überhaupt ermöglicht: die Frauenkörper dienen „in erster Linie als strukturelle Stütze für die Aktion“, sie „verhindern, daß man sich in einem unkontrollierten Malvorgang verliert“ (Saura). Rigider Formwille und ungehemmter Ausbruch psychischer Energien sollen Kunst und Leben fusionieren. So wird die malerische Aktion zur Grenzüberschreitung, wenn sich in rasenden Pinselstrichen aus der formlosen Masse ein figürliches Ensemble herauswindet. Nicht allen Arbeiten freilich gelingt es, den Akt der Formfindung im Bild aufleben zu lassen; und nicht immer finden sich „Freiheit, Ekstase und Gewalt“ tatsächlich auf der öligen Leinwand wieder. Doch überwiegt meistens der Eindruck einer Malerei „mit Schaum vor dem Mund“.

Ein weiteres Hauptmotiv, die Kreuzigung, verdankt sich zunächst wohl eher künstlerischen als religiösen Motiven. Da die Ränder des Tafelbildes senkrechte und horizontale Strukturen vorformen, wird das Kreuz ganz natürlich zu einer Grundform des Bildes. Doch strömt von einem gekreuzigten Kuhschädel auch unmißverständlich das menschlich -kreatürliche Leiden in langen Blutfäden herab (Crucifixion rouge, 1963). Im Christus des Velazquez im Prado, in den Plastiken „blutrünstiger Bildhauer“, in der Obszönität verkrampfter Kruzifixe sucht Saura den echten, unverfälschten Schmerz: „Es trieft nur so von purpurfarbenem Blut, die Glieder werden beweglich, die Gebärde verkümmert zur Ausdruckslosigkeit, der Moment erstarrt, die Vagina liegt in der Brust, die liebkosten Knie sind Geschwulst, die geküßten Füße geschwärzt ... solche Bilder steigen in mir auf, wenn ich eine Verbindung herzustellen versuche. Eine ganze Reihe düsterer Kreuzigungen von El Greco, Alonso Cano, Pacheco, Tristan, Murillo und Zurbaran mischen sich in meinem imaginären Museum mit weiteren Ikonen, in denen sich die Begegnung mit dem Kreuz auf unerwartete Weise vollzieht.“ (Saura) Es trieft der Schrei der Existenz, aber auch die Greuel der Epoche, wie sie sich auch bei Goyas Mann im weißen Hemd - einer Erschießungsszene - finden, oder in Picassos Guernica. Bei Saura aber verschlingt mitunter dann doch die große Manier, das Pathos der Gebärde die malerische Notwendigkeit (etwa Crucifixion, 1979, oder Ecorche II, 1985); dann verfällt der Torero der eigenen Ästhetik.

Der Darstellung der gekreuzigten Kreatur tritt die Vergegenwärtigung der gaffenden Masse gegenüber. In den zusammengeklumpten Anhäufungen larvenartiger Gebilde, die die riesigen Leinwände oft bis zum letzten Winkel füllen, zeigen die „Massenbilder“ Sauras ganze Kompositionskunst. Gesichter verwandeln sich in plastische Module, akkumulieren zu einer immer weiter anwachsenden und zerstörerischen Flut. Formal Pollock durchaus nahe, beschwört Saura so das furchteinflößende Geschrei einer wütenden Menschenmenge; er faßt diesen Aspekt moderner Gesellschaften in einem Horror -Szenario. Seine dramtische Bilderwelt verfolgt einen noch bis in die Erinnerung hinein, wo sie weiterwirkt und beunruhigt. Und nicht zuletzt wegen einer solchen Beunruhigung lohnt sich der Schock dieser Bilder.

Huberta von La Chevallerie

Antonio Saura. Malerei 1956-1985. Die Ausstellung, die vom Musee d'art et d'histoire, Genf, konzipiert und schon in Genf, Valencia und Madrid gezeigt wurde, ist noch bis zum 4. Juni 1990 in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus, München, zu sehen. Der Katalog kostet 35 DM.