: „Das Urteil gegen George Blake war heuchlerisch“
■ Die taz sprach mit dem 51jährigen Antiquitätenhändler Pat Pottle über die Fluchthilfe in seinem Londoner Haus
taz: Warum habt Ihr das Buch geschrieben und Euch dadurch quasi selbst einen Gesetzesbruch zur Last gelegt?
Pottle: Nachdem uns die 'Sunday Times‘ im Oktober 1987 namentlich benannt hatte, tauchten immer mehr Gerüchte über uns auf. Es wurde spekuliert, daß wir Agenten des KGB oder MI 6 seien. Selbst Unbeteiligte wurden in die Sache hineingezogen. Wir konnten dazu keine Stellung nehmen und die Fakten klarstellen, ohne unsere Beteiligung an der Fluchthilfe zuzugeben.
Warum habt Ihr Blake zur Flucht verholfen?
Zuerst einmal möchte ich betonen, daß ich entschieden gegen Spionage bin, ob von West oder Ost. Blake war jedoch keineswegs ein besonders schwerer Fall. Die Hauptaufgabe von Spionageorganisationen ist es, die Aktivitäten gegnerischer
-und oft auch befreundeter - Organisationen aufzudecken. Spione spionieren gegen Spione. Die „Sicherheitsdienste“ sind wie die Mafia. Ihre Aktivitäten sind illegal, sie müssen sich jedoch nicht rechtfertigen, weil sie von der Regierung gedeckt werden. In Großbritannien gibt es offiziell gar keine Geheimdienste. Blake richtete lediglich wegen seiner strategischen Position mehr Schaden als andere an. Ich habe ihm geholfen, weil das Urteil gegen ihn unmenschlich und heuchlerisch war. Er war ein Gefangener des Kalten Krieges, verurteilt zum langsamen Tod.
Glaubst Du, daß die Fluchthilfe der Anti-Atombewegung, mit der Ihr ja eng verbunden ward, geschadet hat?
Uns war natürlich von Anfang an klar, daß Teile der Medien unsere Mitgliedschaft in der Anti-Atombewegung dazu benutzen würden, die gesamte Bewegung zu diffamieren. Die 'Sunday Times‘ hat ja im Oktober 1987 in einem weiteren Artikel spekuliert, daß die Schauspielerin Vanessa Redgrave, die ebenfalls in der Anti-Atombewegung aktiv war, das Geld für Blakes Flucht zur Verfügung gestellt habe. Die Gerüchte hätten der Bewegung weitaus größeren Schaden zugefügt, wenn wir nicht mit unserer Geschichte herrausgerückt wären.
Die Presse hat Euch vorgehalten, daß Ihr das Gesetz nicht in die eigenen Hände nehmen durftet, auch wenn Ihr das Urteil gegen Blake als unmenschlich empfandet.
Ich akzeptiere, daß Gesetze - oder irgendeine Form von Normen - in jeder Gesellschaft notwendig sind. Ich teile jedoch mit vielen Anarchisten und Sozialisten die Ansicht, daß ein egalitäres Netzwerk von Gemeinschaften unter direkter demokratischer Kontrolle eine bessere Alternative zum bürokratischen und zentralistischen Staat ist. Großbritannien ist beileibe keine Modelldemokratie - es herrscht im Gegenteil eine häßliche und erschreckende Tendenz zu einem mehr und mehr autoritären Staat. Es ist falsch und gefährlich, Gesetzen bedingungslos zu gehorchen. Wenn Gesetze - selbst wenn sie korrekt angewendet werden grundlegende Menschenrechte einschränken, ist es legitim, das Gesetz zu mißachten. Damit will ich sagen, daß ziviler Ungehorsam und gewaltfreier Widerstand auch in einer Demokratie prinzipiell zulässig sind. Das Urteil gegen Blake hatte nichts mit Gerechtigkeit zu tun - es war Rache.
Glaubst Du, daß Ihr verurteilt werdet?
Unsere Rechtsanwälte sind davon überzeugt, daß wir eingelocht werden. Die Frage ist, für wie lange - ein Jahr, drei Jahre, wer weiß. Ich bereue es dennoch nicht, Blake zu einer Chance für ein neues Leben verholfen zu haben, statt ihn für Jahrzehnte im Gefängnis verrotten zu lassen. Wir müssen mit den Konsequenzen leben.
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