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Schlechte Zukunft für DDR-Spione

■ Überläufer machen's möglich: Frühere DDR-Agenten werden massenhaft enttarnt / 159 Ermittlungsverfahren inzwischen eingeleitet / Ex-Spionagechef Markus Wolf ist aufgetaucht / Er will seinen Haftbefehl aufgehoben sehen / Amnestie für Spione geplant

Berlin (taz) - Das Leben für frühere DDR-Agenten ist ausgesprochen unerfreulich geworden. Immer mehr von ihnen werden durch Überläufer enttarnt. Jüngstes Beispiel: Zur Verhaftung eines mutmaßlichen Stasi-Spions in der bundesdeutschen Unesco-Vertretung in Paris soll nach Informationen des 'Spiegels‘ ein Tip aus der DDR geführt haben. Der Führungsoffizier des Spions soll sich an die bundesdeutschen Nachrichtendienste gewandt haben, „nachdem ihm die erhoffte Übernahme durch den sowjetischen Geheimdienst KGB verweigert worden war“. Allein im Bonner Auswärtigen Amt sind in den letzten zwei Wochen vier Mitarbeiter als DDR-Spione aufgeflogen. Seit Jahresbeginn wurden 159 Verfahren wegen Spionage eingeleitet, in 17 Fällen Haftbefehl erlassen.

Unfreulich ist das Leben der „Kundschafter“ aber auch, weil die insgeheim geführten Gespräche über ein „gentlemen agreement“ zur Amnestierung sowohl der DDR- als der BRD -Spione nicht abgeschlossen und für die Agenten positive Ergebnisse noch nicht in Sicht sind. Offen ist weiter, wer alles unter die geplante Straffreiheit fallen soll. Prominentes Beispiel ist Hansjoachim Tiedge, der bis zu seiner „Übersiedlung“ in die DDR oberster Spionjäger im Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz war. Die Verfolgung droht ihm auch im einig deutschen Vaterland. Die Generalbundesanwaltschaft verweist auf die Rechtsvorschriften. Sie habe nur dann die Möglichkeit, nicht zu bestrafen, wenn der Agent „tätige Reue“ zeige. Dazu gehört nicht nur das Bekenntnis, es nicht wieder tun zu wollen, sondern auch bei der Aufklärung zu helfen. Im Klartext: „Auspacken“, die früheren Kollegen verpfeifen.

Rund zwei Monate nach seinem Verschwinden wird auch der frühere Spionagechef der DDR, Markus Wolf, von Existenzängsten heimgesucht. „Mischa“ Wolf wurde von den westdeutschen Spionagefahndern wiederholt beschuldigt, er nutze seinen Aufenthalt in Moskau nicht, wie er beteuerte, um seine Memoiren zu schreiben, sondern dazu um die Reste seines früheren Spionageimperiums an den sowjetischen KGB zu übereignen. Wolf wurde nun vom Kölner 'Express‘ in einem Ort in der Nähe von Ost-Berlin aufgespürt. Er habe sich zunächst in Moskau versteckt gehalten, sagte er, und wolle noch in diesem Jahr in die Bundesrepublik reisen. Der geheimnisumwitterte „Mischa“, der in der Bundesrepublik wegen nachrichtendienstlicher Tätigkeiten strafrechtlich verfolgt wird, forderte die Karlsruher Generalanwaltschaft auf, seinen Haftbefehl aufzuheben.

Am Ende seiner Amtstage will Generalbundesanwalt Kurt Rebmann davon aber nichts wissen. Er sei „gesetzlich dazu verpflichtet, die von Wolf begangenen Straftaten zu verfolgen“. Und diese Pflicht werde er „mit seiner Festnahme erfüllen“. An einen ruhigen Schlaf ist für ehemalige und noch loyale DDR-Spione also nicht zu denken.

Wie überall gehören Ausnahmen zur Regel: Wer als DDR-Spion in der Bundesrepublik entlarvt und nach seiner Verurteilung nur kurze Zeit später ausgetauscht wurde, braucht der Zukunft nicht bange entgegenzublicken. Mit dem Urteil ist dem Strafanspruch der Behörden Genüge getan - dem Agentenaustausch war auf bundesrepublikanischer Seite ein rechtskräftiger Gnadenerlaß vorangegangen.

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