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„Das war schon verwerflich“

■ Helmut Dziuba, der Regisseur von „Verbotene Liebe“, hatte schon immer Probleme mit der DDR-Zensur. Noch vor wenigen Jahren war er „kulturpolitischen Angriffen“ im 'Neuen Deutschland‘ ausgesetzt. Der Filmkritiker dort ist immer noch derselbe.

Als einen Geschädigten des untergegangenen realsozialistischen DDR-Systems würde sich DEFA-Regisseur Helmut Dziuba nicht bezeichnen. Nicht so wie manche seiner Kollegen, die vor lauter geballter Faust in der Hosentasche und lauter „Geben sie Gedankenfreiheit!„-Brüllen über Jahrzehnte ganz handlahm und heiser geworden sind. Diese derzeit modischen Hochstapeleien liegen Helmut Dziuba nicht. Er glaubte an das Ideal Sozialismus, glaubt noch heute dran, fühlt sich - ehemals Genosse der SED, jetzt PDS mitverantwortlich für das, was in seinem Land geschah und geschieht. Gewiß, er hatte Schwierigkeiten wegen seiner zu realistisch-kritischen Filme und Stoffe, er war diffamiert, bei der Arbeit behindert worden. Aber angesichts dessen, was heute in seinem Land kaputt geht und schon kaputtgegangen ist, erscheinen ihm seine früheren Probleme fast bedeutungslos.

Vor sechs Jahren wurde Helmut Dziubas Film Erscheinen Pflicht als Eröffnungsbeitrag des 3.Nationalen Spielfilmfestivals in Karl-Marx-Stadt uraufgeführt. Das 'Sächsische Tageblatt‘, das irgendwie durch die Maschen des Anleitungsnetzes der Abteilung Agitation des ZK der SED geschlüpft war und als einzige Zeitung über diesen Festivalfilm berichtete, behauptete ganz naiv: „Mit Spannung wird die Entscheidung der Jury erwartet.“ - Für Autor -Regisseur Helmut Dziuba und alle Eingeweihten mußte das wie Hohn klingen. Denn die wußten, daß die Unmutsäußerungen einiger Wandlitz-Bewohner zu eklatanten Eingriffen in die Arbeit der Jury in Karl-Marx-Stadt führten. Durch einen reitenden Boten aus Berlin wurde das Gremium so unter Druck gesetzt, daß dieser Film keinen Preis bekam. Dziuba erinnert sich: „Leute aus der Publikums-Jury kamen mit Tränen in den Augen zu mir - und mich beherrschte eine unwahrscheinliche Hilflosigkeit. Die Schizophrenie bestand darin, daß wir uns dem negativen Urteil führender Funktionäre unseres Staates unterworfen haben. Unterwerfen mußten... das aber ist schon eine Zweifelsfrage.“

Abgelehnt wurde Erscheinen Pflicht von Leuten, die man gemeinhin als „ganz oben“ bezeichnete, von Erich Honecker und seiner Frau Margot, der Volksbildungsministerin. Warum aber hatte dieser Film so mächtige Gegner? Weil eine als sozialistisch apostrophierte Gesellschaft mit den entlarvend unschuldigen Augen einer 16jährigen betrachtet wurde und weil sie nicht die geforderte heile Welt sah, sondern Verlogenheit, Karrierismus, Privilegien, das Menschenverbiegen in der DDR-Schule erkannte.

Heute fällt es schwer, die Aufregungen um diesen Film vor sechs Jahren zu begreifen. Weder war er ein lautstarker filmischer Aufruf gegen das Volksbildungssystem noch ein Angriff auf Partei und Staat. Dziubas Filmsprache war zurückhaltend und keinesfalls destruktiv; er wollte den Sozialismus nicht abschaffen, er wollte ihn verbessern. Er gehörte zu den Künstlern, die den Film als „moralische Anstalt“ nutzen, die durch Kritik die Zuschauer zum Nachdenken und so zum Verändern bringen wollten. Das aber ging der Führung zu weit. Sie schickte ihr Zentralorgan, das 'Neue Deutschland‘, an die ideologische Front.

Bösartig und wider besseren Wissens schrieb Rezensent Knietzsch: „Was sich realistisch gebärdet, offenbart sich im Grund als Realitätsferne. Die künstlerischen Metaphern, die einen Generationskonflikt suggerieren wollen, stehen in allzu deutlichem Gegensatz zu unserer 35jährigen Wirlichkeit...“ Dziuba wird „resignative Melancholie“ vorgeworfen sowie eine „Konfliktgestaltung, die kaum zu konstruktivem gesellschaftlichem Handeln motiviert, sondern Verdrossenheit hinterläßt“.

Wie konnte der aufrichtige, feinfühlige, von den ethischen und moralischen Werten des Sozialismus zutiefst überzeugte Helmut Dziuba mit dieser Rezension seiner Parteizeitung fertig werden? „Das ist an mir vorbeigegangen, solche Ignoranz der Wirklichkeit gegenüber konnte ich nicht akzeptieren. Das einzige, was ich gemacht habe: Das 'ND‘ abbestellt - eine Trotzreaktion. Meine Wiedergutmachung kam durch das Publikum - ich wurde zu so vielen wunderbaren Filmgesprächen eingeladen, zu Schülern, Studenten, Pfarrern, Pädagogen... und die aufregenden politischen Diskussionen zeigten mir, wie nötig und nützlichErscheinen Pflicht war, wie gut der Film verstanden wurde.“

Am 7.März 1990 kam Erscheinen Pflicht in der DDR auf den Bildschirm - die „Wende“ hatte es möglich gemacht. In der Kurzankündigung im 'Neuen Deutschland‘ liest man den lakonischen Satz: „Dieser Streifen war nach seiner Uraufführung 1984 kulturpolitischen Angriffen ausgesetzt.“ Grund genug, bei 'ND'-Filmkritiker Horst Knietzsch, der nach wie vor auf dem von ihm selbst beschmutzten Stuhl sitzt, wegen seiner damaligen „kulturpolitischen Angriffe“ nachzufragen. Zuerst redet er sich auf die Weisungen der Abteilung Agitation, auf die Eingriffe des Politbüros heraus, sagt: „Ich habe heute noch die Manuskripte mit den handschriftlichen Korrekturen aus der Parteiführung.“ Er windet sich: „Ja, ich denke, heute würde ich anders über diesen Film schreiben; damals waren das keine ästhetischen, sondern politische Urteile - das war schon verwerflich.“ Und meint zuletzt: „Man muß sich kritisch befragen, warum hast du das damals zugelassen? Sicher hat Dziuba sehr gelitten.“ Das war's dann. Zu einer selbstkrtischen öffentlichen Auseinandersetzung sah sich der gewendete Knietzsch bisher nicht veranlaßt.

Daß er mit diesem Mann damals und heute in der selben Partei ist, daß manch „alte Genossen - ich meine solche mit altem Denken“ - noch immer in ihren Positionen sitzen, damit hat Helmut Dziuba seine Schwierigkeiten. Vor Jahrzehnten ist er einmal aus der Partei ausgeschlossen worden, hat um seine Rehabilitierung gekämpft. Sagt heute: „Nur um 'meine Haut‘ zu retten, werde ich meine politische Haltung nicht verleugnen, meine Partei nicht verlassen.“

Auch mit seinem jüngsten Film Verbotene Liebe hatte Dziuba Schwierigkeiten. 1986 war das Buch fertig, wurde 1987 vom DEFA-Chefdramaturgen abgenommen und hatte viele Freunde. Die Hauptrollen waren schon besetzt. Kurz vor Drehbeginn kam das Aus des „staatlichen Leiters“. „Da waren doch gerade die Freiheits-Transparente bei der Luxemburg-Liebknecht-Demo aufgetaucht“, erinnert sich Dziuba, „in unserem Film riefen die Schüler auch nach Freiheit. 'Das ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht möglich‘ - eines der häufigsten Argumente, wenn ein Film verhindert werden sollte. Sicher hätte ich drehen können, wenn ich den Schüleraufstand zu streichen bereit gewesen wäre oder die Eskalation zwischen den Vätern: Zaun, Stacheldraht, Mauer - das wurde als Metapher erkannt.“

Drei Jahre kämpfte Dziuba gegen das Verbot der Verbotenen Liebe. Im Juni 1989 - der Film hätte zu dieser Zeit schon Premiere haben können - war Drehbeginn. Ein Vor-„Wende„-Film also. Aber ein Film, der auch deutlich macht, welche Deformierungen, welch angestauter Druck zur DDR -„Oktoberrevolution“ führten. Übrigens ist Verbotene Liebe nicht vorrangig eine politische Auseinandersetzung mit den alten Zuständen. Zu allererst erzählt dieser Film eine starke und aufregende Liebesgeschichte zwischen zwei ganz jungen Menschen.

Constanze Pollatschek

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