: DIW für großzügigere Bewertung der Mark
■ Westberliner Wirtschaftsinstitut schlägt vor, Verbindlichkeiten der DDR-Betriebe zu streichen / Über eine Million Arbeitslose prognostiziert
Berlin (dpa/vwd) - Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) aus West-Berlin hält eine großzügigere Umstellung von DDR-Mark zur D-Mark als sie die Bundesregierung vorgeschlagen hat für sinnvoll. Unter dem Gesichtspunkt der Zinsbelastung des Staates wäre eine Umbewertung der Sparguthaben im Verhältnis 1:1 über die vorgeschlagene 4.000 DM-Grenze hinaus vertretbar, argumentiert das Institut in seinem am Mittwoch veröffentlichten Bericht.
Auch die Forderungen und Verbindlichkeiten der Betriebe brauchten nicht 1:2 umgestellt, sondern könnten „ganz gestrichen“ werden. Um die Ausgleichsforderungen der Banken an den Staat, die an ihre Stelle treten würden, zu verzinsen, reichten zehn Milliarden DM aus. Käme es zu der von der Bundesregierung vorgeschlagenen Regelung, läge die Zinsbelastung nur um zwei bis drei Milliarden DM darunter.
Würden die DDR-Betriebe entschuldet, hätte dies den Vorteil, meint das DIW, daß sie in den DM-Eröffnungsbilanzen für ihre Anlagevermögen realistische Ertragswerte kalkulieren könnten. Damit würden sich auch die Chancen verbessern, Staatsbetriebe zu privatisieren. Die Erlöse aus solchen Veräußerungen könnten zur Ablösung von Ausgleichsforderungen den Banken verwendet werden mit der Folge, daß die Zinsbelastung des Staates aus diesen Verpflichtungen nach und nach abnehmen würden.
DIW-Präsident Prof. Lutz Hoffmann betonte, man habe erstmals den Versuch unternommen, ein „konsistentes Bild“ der Zinsbelastung des Staates, des Systems der sozialen Sicherung, der Kostenstruktur der Unternehmen, des Preisniveaus und der Beschäftigungsstruktur „im Zusammenhang“ zu zeichen. Die Zahlen seien „plausibel“. Der Erfolg werde am größten sein, wenn es nach der Herstellung der Währungsunion mit der politischen Einigung „schnell“ gehe. Alles andere würde zu spekulativen Entwicklungen führen.
Prof. Wolfgang Kirner unterstrich, daß die öffentlichen Haushalte der BRD nach einer unumgänglichen Finanzreform in der DDR zur Deckung einer vermuteten Finanzierungslücke von 52 Milliarden DM zunächst einen erheblichen Beitrag leisten müßten. Die Lücke ergebe sich daraus, daß bei der Ablösung des bisherigen Systems von Abgaben, Subventionen und Investitionsfonds durch ein Steuersystem wie in der BRD, das in erster Linie an die Einkommen und die Wertschöpfung der Unternehmen anknüpft, die öffentlichen Einnahmen in den ersten Jahren nicht ausreichen würden, „um einen abgespeckten, an dem Aufgabenspektrum der Bundesrepublik orientierten Haushalt zu finanzieren“. Von einem Aufschwung in der DDR werde jedoch auch die BRD profitieren, zum Beispiel durch zusätzliche Exporte von Investitionsgütern in die DDR. Ein Teil des Transfers von Haushaltsmitteln käme in Form zusätzlicher Steuereinahmen wieder den öffentlichen Haushalten in der BRD zugute. Die Belastung der Bundesrepublik sei daher „netto gerechnet weitaus geringer als die Beiträge zum Ausgleich des Staatshaushaltes der DDR“. Ob und in welchen Umfang Steuern in der BRD erhöht werden müßten, hänge vom anhaltenden Konjunkturaufschwung und damit steigenden Steuereinahmen ab sowie davon, ob auf Teile der geplanten Unternehmenssteuerreform verzichtet werde oder Ausgaben in anderen Etats eingespart und umgeschichtet würden.
Kernstück der DDR-Finanzreform müsse eine Reduktion der Abgabenbelastung der Betriebe sein. Zur Zeit seien die Unternehmen mit Kostensteuern belastet, die - auch unter Berücksichtigung der Subventionen - höher seien als die Lohnkosten. Würden die steuerlichen Regelungen der BRD übernommen, „käme es zu Kostenentlastungen bei den Abgaben, die ein Mehrfaches der Lohnkostenerhöhungen im Zuge einer Sozialunion ausmachen würden“. Im Verbund von Sozialunion und Finanzunion käme es per Saldo „zu Kostenentlastungen in der Größenordnung von einem Drittel, die zu Preissenkungen genutzt werden könnten“.
Eine Million Arbeitslose erscheint dem DIW „für den nach einer ersten Phase der Konsolidierung zu erwartenden Abbau von Arbeitsplätzen plausibel“. Aufgrund eines Vergleichs mit den bundesdeutschen Verhältnissen vor zwanzig Jahren sei davon auszugehen, daß in der DDR die Beschäftigung in der Industrie um gut 900.000, in der Landwirtschaft um 250.000 und im übrigen staatlichen Bereich um 170.000 zurückgehen. Im Baugewerbe und im Dienstleistungssektor würden 350.000 neue Arbeitsplätze geschaffen. Ein System der sozialen Sicherung wie in der Bundesrepublik könne sich nach einer Anschubfinanzierung weitgehend selbst tragen. Nur bei mehr als 600.000 Arbeitslosen würden Zuschüsse erforderlich.
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