: Essen haßt Play-Offs
■ Lemgo wirft den Handball-Meister aus der Meisterschaft und steht selbst als Favorit im Halbfinale
Lemgo (taz) - Die Handballer vom TBV Lemgo haben Sinn für Dramaturgie: In der letzten Sekunde der zweiten Verlängerung erwarfen sie den Siegtreffer zum 26:25 gegen den geschockten TUSEM Essen.
Damit warfen sie den amtierenden Handballmeister aus dem Play-Off um die deutsche Meisterschaft. Gleichzeitig endete Bundestrainer Horst Bredemeiers Karriere als Orakel: Er hatte prophezeit, daß Essen aufgrund der Spielerpersönlichkeiten wieder Meister werde.
Nach dem 23:21-Hinspielsieg in Essen hatten die Lemgoer sich das Rückspiel leichter vorgestellt. Niemand rechnete eigentlich damit, daß sich TUSEM noch einmal wehren würde. Entsprechend siegesgewiß gestimmt waren die 3.000 Fans, die schon vor Spielbeginn die Wände im Lemgoer Lüttfeld wackeln ließen.
Aber die Essener Starmannschaft, die in letzter Zeit meist lustlos und ausgebrannt wirkte, zeigte von Beginn an, daß sie um die Meisterschaft weiterspielen wollten. Denn im Pokal haben sie nach der haushohen Niederlage in Minsk keine Chance mehr zum Weiterkommen.
So erwischten sie in Lemgo den besseren Start und lagen in der Anfangsphase ständig in Führung. Erst mit dem 7:7 schaffte Lemgo erstmals den Ausgleich. Das Kopf-an-Kopf -Rennen setzte sich über die gesamten achtzig Minuten fort; keine der beiden Mannschaften konnte sich in der hektischen, zerfahrenen Partie nennenswert absetzten.
11:10 für Lemgo stand es zur Halbzeit, und nach dem Ende der regulären Spielzeit hieß es 19:19. Damit war nicht etwa der TBV Lemgo nach dem Hinspielsieg für das Halbfinale qualifiziert. Vielmehr mußte es auch im zweiten Spiel einen Sieger geben. Bei einem Sieg für Essen wäre die Entscheidung bei einem dritten Play-Off, wiederum in Essen, gefallen.
Es ging also in die zehnminütige Verlängerung, aber auch da wollte die Entscheidung nicht fallen: 23:23. Das hieß nochmal zehn Minuten - die Halle war längst übergekocht. In der hektischen Schlußphase zeigten sich die Schiedsrichter gelegentlich überfordert. Sie waren um ihren Job auch nicht zu beneiden. Ihre teilweise recht seltsamen Entscheidungen hielten sich aber die Waage, es gab keine eindeutige Bevorteilung einer Mannschaft.
Die Entscheidung fiel erst nach Ablauf der zweiten Verlängerung: die Uhr stand schon auf 0:00. Den letzten Freiwurf mußte der TBV also direkt ausführen - eine häufige Situation am Spielende, bei der ein Tor fast nie fällt. Doch der Lemgoer Kapitän Frank Ziegler schaffte das Kunststück, im Fallen den Ball um die Essener Mauer herum flach ins untere Toreck zu knallen.
Im anschließenden Freudentaumel der Lemgoer und ihrer Fans verloren, wie später zu hören war, einige Essener Spieler vollends die Nerven und gingen auf die Schiedsrichter los. Stinkesauer war nach dem Spiel auch ihr Trainer Hans-Dieter Schmitz: Das letzte Tor sei eindeutig ein Sprungwurf und daher unregulär gewesen. Und außerdem sei dieses ganze Play -Off-System vollkommen ungerecht.
Einwände gegen das Play-Off hatten die Essener schon immer gehabt. Verständlich, denn sie waren die souverän beste Mannschaft in der Meisterschaftsrunde und wurden letztlich durch einen Ausrutscher im ersten Play-Off gegen den Tabellenachten Lemgo um den Erfolg gebracht. Den größeren Vorwurf machte Schmitz, der zu Saisonende nach Dormagen wechselt, aber seinen Spielern: Einigen fehle einfach die rechte Profi-Einstellung.
Lemgo empfängt nun im Halbfinale entweder Großwallstadt oder Kiel. Vor den Spielen gegen Essen gab es bei englischen Buchmachern noch eine Quote von 330:10 auf Lemgo als Deutschen Meister. Jetzt muß sich die Mannschaft mit einer neuen Rolle vertraut machen: Sie gehört zu den ganz heißen Favoriten.
Stephan Stolze
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