: Ein Millimeter am Tod vorbei
Berlin (dpa/taz) - Gerade ein Millimeter scheint Oskar Lafontaine das Leben gerettet zu haben. Das 30 Zentimeter lange Fleischermesser der Attentäterin verfehlte die Halsschlagader äußerst knapp. Verletzungen dieser fast einen Zentimeter dicken Arterien, die Kopf und Gehirn mit sauerstoff- und nährstoffreichem Blut versorgen, verlaufen fast immer tödlich. Denn anders als andere Arterien können die beiden Halsschlagadern, die direkt der aus dem Herzen kommenden Aorta entspringen und parallel zur Luftröhre und dem Kehlkopf verlaufen, nicht abgedrückt werden, um Blutungen zu stillen. Sinkt die Blutzufuhr des Gehirns, das als Schaltzentrale des Körpers zu den am stärksten durchbluteten Organen gehört, länger als vier bis fünf Minuten unter 20 Prozent des Normalwertes von - je nach Körpergewicht - 1,6 bis 1,9 Litern pro Minute, kommt es zu irreparablen Hirnschäden. Nach acht bis neun Minuten Mangelversorgung mit Blut tritt in der Regel der Tod ein.
Obwohl die Halsschlagader unverletzt blieb, schwebte der sozialdemokratische Kanzlerkandidat für einige Zeit in Lebensgefahr. Aufgrund der tiefen Verletzung einer Vene am rechten Hals in der Höhe des Ohres verlor er über drei Liter Blut. Das ist extrem viel, bedenkt man, daß ein 70 Kilogramm schwerer Mensch etwa 5 bis 5,5 Liter hat. Ein Leibwächter versuchte die Blutung mit Tüchern zu stillen, bis zwei Rettungssanitäter schon kurz nach dem Attentat eintrafen, um erste Hilfe zu leisten. Vier Minuten nach der Tat war schließlich ein Notarzt, der sich im Foyer aufgehalten hatte, beim schwerverletzten Lafontaine. Der Politiker, der nach dem beinahe tödlichen Messerstich noch einige Minuten bei vollem Bewußtsein war, wurde in einem Notarztwagen in die Universitätsklinik gefahren und dort unter Narkose von einem Ärzteteam zwei Stunden lang operiert. Acht Stunden nach dem Attentat erwachte er aus der Narkose, die er die ganze Nacht über in kreislaufstabilem Zustand verbracht hatte. Noch am Donnerstag morgen teilte der Gefäßchirurg Professor Heinz Pichelmeier, der Leiter des behandelnden Ärzteteams, mit, Lafontaine sei außer Lebensgefahr und bereits wieder ansprechbar. Joachim Hofmann-Göttig, stellvertretender Bevollmächtigter der saarländischen Landesvertretung in Bonn und Pressekoordinator der Universitätsklinik gab kurz danach bekannt, der Kanzlerkandidat lese schon wieder Zeitungen, empfange Besuch und scherze sogar, wenn auch zurückhaltend. Bleibende Schäden sind offenbar nicht zu erwarten und eine Heilung in ein bis zwei Wochen scheint möglich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen