Vereinter Ruf in Berlin: „Heraus zum 1. Mai“

■ Getrennte Demonstrationen, aber gemeinsame Kundgebung der Gewerkschaften von Ost und West auf dem Platz der Republik / Wer mitmarschieren will, muß ganz früh aufstehen / Vertreter des DGB weisen Angriffe der Christdemokraten wegen Ost-Beteiligung zurück

Nach 42 Jahren Scheidung finden die Arbeitnehmer Berlin West und die Werktätigen Berlin Ost wieder zusammen. Morgen wird zum erstenmal seit 1947 wieder gemeinsam gefeiert. Die Aufmärsche von Betriebszellen, Kampfgruppen, SED -Parteiuntergliederungen, vorbei an der winkenden Führung des sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaates sind vorbei, ebenfalls das Ritual von Freiheitskundgebungen und SPD -Parteiveranstaltungen. Dieses Jahr wird so gefeiert, wie es der DGB 1982 beschlossen hat: eine Veranstaltung für Gewerkschafter ohne Parteienvertreter auf dem Platz der Republik.

Dafür aber müssen alle früh aufstehen und lange laufen. Um 8.30 Uhr treffen sich die meisten Einzelgewerkschaften vor dem DGB-Haus in der Keithstraße, ÖTV und GEW zur gleichen Zeit in der Joachimsthaler Straße. Die 17 Einzelgewerkschaften des FDGBs, die alle als selbständige Organisationen zur Demonstration aufgerufen haben, versammeln sich um 9 Uhr im Lustgarten und wandern zum Brandenburger Tor. Alle Ost- und Westzüge treffen sich zwischen dem eingerüsteten Tor und Potsdamer Platz, um vereinigt Richtung Reichstag zu ziehen. Fehlen werden am Lustgarten die IG-Metaller Ost. Sie treffen sich mit den West-KollegInnen um 8.30 Uhr vor dem IG-Metall-Haus in der Alten Jakobstraße.

Um 11.10 Uhr beginnt die Kundgebung auf dem Platz der Republik. Reden werden in folgender Reihenfolge: Michael Pagels, DGB-Chef Berlin, Ingrid Boche, Vorsitzende der Gewerkschaftsleitung der VEB-Wohnungsbaukombinate Berlin (Ost), Ernst Breit, DGB-Vorsitzender, Rosemarie Lubasch, IG Metall, Mathias Oertel, Initiativgruppe Gewerkschaftsjugend Frankfurt/Oder und Johan Steklenburg, Vizepräsident des Europäischen Gewerkschaftsbundes. Gegen 12 Uhr soll die Kundgebung beendet sein, und bis nachmittags um halb 4 gibt es auf dem Platz ein Kulturprogramm auf verschiedenen Bühnen.

Im Vorfeld des 1. Mai kam es zu diversen Schlagabtäuschen von CDU und DGB. CDU-Generalsekretär Landowsky forderte den DGB auf, die Veranstaltung abzusagen. Eine gemeinsame Veranstaltung von FDGB, DGB, PDS, AL und SPD würde den Platz der großen Freiheitskundgebungen „entwürdigen“. Die Vorwürfe wurden von Michael Pagels als „Wahlkampfpropaganda“ zurückgewiesen. Pagels betonte, daß zur Kundgebung am Reichstag ausschließlich die Einzelgewerkschaften aus beiden Teilen der Stadt aufgerufen haben, die Rednerliste einstimmig im gewerkschaftlichen Regionalausschuß beschlossen wurde. Der Redebeitrag von Ernst Breit sei bereits im Mai vergangenen Jahres verabredet und im Regionalausschuß nicht als Affront gegen den FDGB verstanden worden. Eigene FDGB-Redner hätten nicht zur Debatte gestanden. Entscheidend ist, so Pagels, daß die KollegInnen aus Ost und West zeigen, daß der Aufbau einer ökologisch orientierten, sozialen Marktwirtschaft und eines Sozialstaates nur mit Hilfe starker Gewerkschaften gelingen wird.

Gemeinsames Ziel aller Berliner Gewerkschafter ist die Stärkung von parteiunabhängigen Gewerkschaften, die Tarifautonomie, das Streikrecht, das Aussperrungsverbot, und die umfassende Mitbestimmung am Arbeitsplatz. „Nur gemeinsam“, sagte Pagels, „kann verhindert werden, daß die Lasten der Vereinigung ausschließlich von den ArbeitnehmerInnen getragen werden.“

aku