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 ■ N E U L I C H I N G R O S S B E R L I N

Zur Zeit findet ja ein Frühlings-Volksfest am Potsdamer Platz statt, zur Ehrung der Historie und zum Vertreiben der Frühjahrsmüdigkeit, wie es die mitgestaltenden Ostberliner wollten. Ich kam nun gestern abend todmüde vom Entwickeln meiner ätzenden, total schlechten Fotos - was die eigentlich sollen, weiß man nicht - mit dem Fahrrad des Weges und freute mich, von diesen total alternativen Bratlingen aus Soja und anderen Sachen, die ich nicht buchstabieren kann, noch welche aus Reis und Gemüse mit echt scharfer Soße abzukriegen. Wie ich das Ding also mit letzter Kraft kaue, hört mich eine auch voll alternative Frau zu dem echt geilen Typ am Stand sagen, es ist ja kein besonders romantischer Platz, den ihr euch hier für euer Fest ausgesucht habt... Aber historisch, sagt er, und die Frau guckt mich verächtlich an, hier noch die Alternativszene mit meinen voll reaktionären Gefühlen madig zu machen und ey Mann, ey echt voll geil, ey echt... Also, sie geht weiter, und jemand anders kommt des Wegs und fragt, ob er hier auch mit Ost -Geld bezahlen könne. Nein, bei uns nicht, sagt die Frau mit dem Kuchen und den Bratlingen, aber vielleicht bei dem da, der hat aber nur Getränke, und so geht der Mann aus dem Osten weg von der Frau aus dem Westen und versucht es mit einem Mann aus dem Westen. Nicht wahr, da haben sie gerade die Mauer weggenommen, um die Menschen nicht dadurch voneinander zu trennen, und nun schafft es das liebe Geld. Aber die Rohstoffe für diese Bio-Nahrung sind so teuer, haben sie mir dann erklärt, alles echt bioreingoldwertedelohne sonstwas drin. Wir müssen es ja auch bezahlen. Das sah ich natürlich ein. Dann wollte ich gerne was trinken, und ein ganz kleines Glas Saft kostete drei Mark, da habe ich gesagt, das habe ich nicht, und sie fragte mich, ob ich auch aus dem Osten sei. Das nun nicht, aber finanziell schon, sagte ich. Daraufhin schlug sie mir einen Kompromiß vor, das kleine Glas halb voll Saft und halb voll Sprudel, für eine Mark fünfzig, was echt preiswert ist, denn eigentlich kostet ein kleines Glas nur mit Sprudel eine Mark fünfzig. Wie ich also in den Deal einwillige und sie mir das Glas zusammenmischt und einschenkt, sagt sie plötzlich, ist gut so, und ich trinke mein Glas ganz umsonst leer. Danach habe ich noch Hunger, der Kuchen kostet von jeder Sorte fast zwei Mark fünfzig, und weil ich gerade beim Trinken so viel gespart hatte, wollte ich nachgucken, ob ich mir deshalb jetzt vielleicht noch ein Stück Kuchen leisten könnte. Nein, es reichte nicht... Wieviel hast du denn?, fragt mich die Frau, und ich gebe ihr alles, inklusive den allerletzten Pfennig, und sie gibt mir dafür ein Stück Kirschkuchen, sehr saftig, mit Streuseln belegt, und es war sehr köstlich. Als ich aufgegessen hatte, fragte sie mich, ob es geschmackt habe, was ich aus vollem Herzen bejahte. Ich blieb noch einen Moment stehen und fuhr dann mit dem Fahrrad an den schwarzgekleideten, ums Lagerfeuer herumsitzenden und leise singenden Leuten vorbei nach Hause. (Bis Redaktionsschluß blieb alles ruhig.)

Sophia Ferdinand

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