piwik no script img

Gefährliche Gratwanderung auf den Müllbergen

Bayerisches Volksbegehren für neues Abfallkonzept / Bürgerinitiative „Das bessere Müllkonzept“ vertraut den Politikern nicht mehr / Schnell zusammengezimmerter Gesetzentwurf von CSU und SPD auf der Delegiertenversammlung abgelehnt  ■  Von Luitgard Koch

Burghausen (taz) - Auf der Bühne: lila Flieder, gelbe und rote Tulpen blühen in einem Schnürstiefel aus Ton. Daneben eine Mülltonne, in der Mitte abgeschnürt, die ganz klar auf Abspecken setzt. „Die Initiative Emmertinger Mütter grüßt die Delegierten von 'Das Bessere Müllkonzept'“, verkündet ein Schild mit bunter Schrift. Vor dem Podium steht ein Plastikkübel mit einem dicken Strauß knallgelber Blutterblumen.

Mitten im sogenannten „bayerischen Chemiedreieck“ im südostbayerischen Grenzgebiet zu Österreich trafen sich am vergangenen Wochenende über 200 Delegierte des bayerischen Dachverbands „Das bessere Müllkonzept“. Viele Mitglieder der dortigen Bürgerinitiative (BI) arbeiten in den Chemiewerken von Wacker, Höchst und Petrochemie. Aus Angst vor Repressionen wollen sie jedoch anonym bleiben.

Das Müllproblem ist in diesem Landstrich besonders massiv. Denn die Energie aus der Müllverbrennung hat die Begehrlichkeit der Chemiegiganten geweckt. Der Müll aus sechs Landkreisen soll deshalb hier zu ihren Gunsten verbrannt werden. Keine leichte Entscheidung mußte die Bürgeraktion, der inzwischen bayernweit über 80 BIs angehören, treffen. Mit dem von ihnen initiierten Volksbegehren für ein neues Abfallgesetz störten sie die Gemütlichkeit der CSU-Abgeordneten im bayerischen Landtag. Der bayerische Verwaltunggsgerichtshof hatte dem „Müllvolk“ nämlich recht gegeben. Auf die Schnelle versuchte deshalb die CSU, binnen einer Woche einen neuen Gesetzentwurf zu zimmern, um damit ein Volksbegehren zu verhindern.

Von den Verlusten bei den bayerischen Kommunalwahlen schwer angeschlagen, die nicht zuletzt eine Watschn für ihre Müllpolitik waren, sahen sich die Schwarzen gezwungen, zu verhandeln. Dankbar beschritten die Sozialdemokraten mit ihnen den parlamentarischen Weg. Von einer „Sternstunde des Parlaments“ war sogar die Rede. Einzig die Grünen im Landtag konnten kein Licht am Horizont entdecken. Sie wollten den von SPD und CSU gefundenen Kompromiß nicht mittragen.

Nach ihrem gemeinsam ausgetüftelten Gesetzeswerk erklärte der bayerische Chef der Sozialdemokraten, Karl-Heinz Hiersemann, der Gesetzentwurf sei weitgehend deckungsgleich mit dem von der Bürgeraktion geforderten Abfallgesetz. Das grüne Feigenblatt der CSU, Fraktionschef Alois Glück, betonte dagegen, daß es „gravierende Unterschiede“ gebe. Für die BI blieb die Frage: „Wer spielt falsch in diesem Müllpoker?“

Das Gesetz bringe nichts wesentlich Neues und sei reine Augenwischerei. Professor Ferdinand Kopp urteilt hart. Der 58jährige Verwaltungs- und Verfassungsrechtler aus der konservativen Universitätsstadt Passau hat für die BI ihren Gesetzentwurf wasserdicht gemacht. Nur durch seine Hilfe überwand er die Hürden des bayrischen Verwaltungsgerichtshofs. Berater im Flick-Prozeß war er. Doch: „Daß beim Müll was passieren muß, ist klar, mei‘ Frau is‘ da mehr dafür“, verrät der Professor.

Frauen sind die Mehrheit im fünfköpfigen Vorstand der Bürgeraktion. Idee und Initiative für das Volksbegehren kam von der Schwäbin Erika Barwig. Als die 49jährige vom angestrebten Volksbegehren der arg geschrumpften Ökopartei ÖDP gegen den Filz in der Politik hörte - die ÖDPler wollten damit erreichen, daß Politiker keine Aufsichtsratsposten in der Wirtschaft mehr übernehmen dürfen -, sah die ehemalige Lehrerin im Volksbegehren eine Chance zur Wende in der Müllpolitik.

„Ganz Bayern ist an Müllverbrennungsanlagen angeschlossen.“ Erika Barwig hält eine Landkarte von Bayern hoch. Auf der Karte wimmelt es von roten Punkten neben schwarzen Schloten. Die roten Punkte sind die Bürgerinitiativen. Trotz Kompromißgesetz von SPD und CSU sollen noch vier fertiggebaut werden. „Auch wenn wir das Volksbegehren verlieren, haben wir eine Bewußtseinsarbeit geleistet, die es noch nicht gab“, macht die Mutter von drei Töchtern ihren Mitstreitern klar. Die Betriebswirtin Uta Philipp, ebenfalls im Vorstand, hat trotzdem Bedenken. Die agile 45jährige betreibt in Zorneding eine eigene Firma für Kompostierung: „Mir macht die Finanzierung Bauchschmerzen.“ Rund eine Million kostete nämlich 1974 das Volksbegehren zur „Rundfunkfreiheit“. Ihr Nachbar und Mitvorstand, der 34jährige Maschinenbautechniker Franz Tschachau, fegt diese Bedenken jedoch vom Tisch: „Es sind noch 100.000 Mark da.“ Außerdem soll ein Finanzpool auf Landkreisebene gebildet werden. „Unsere parteiverdrossene Jugend wartet darauf, daß wir das Volksbegehren durchziehen“, betont die resolute Brigitte Parzich aus Landsberg neben ihm.

Unten im Saal wird der SPD-Landtagsabgeordnete Gustav Starzmann von Frauen aus seinem Wahlkreis umringt. „Der Zentralismus is‘ a Irrweg, des sieht ma‘ bei den Schulen genauso wie beim Müll“, redet die 42jährige Hausfrau Agnes Thaunbichler auf den Sozi ein. Nach dem Willen der Bürgeraktion soll nämlich die Zuständigkeit für die Müllentsorgung von den Landkreisen und Planungsgesellschaften für Müllverbrennungsanlagen, deren Sprecher nicht selten, so wie etwa in Augsburg der umweltpolitische Sprecher und Landtagsabgeordnete der CSU, Karl Kling, aus der Staatspartei kommen, auf die Gemeinden verlagert werden. Davon ist im Kompromißentwurf nichts zu lesen. Ebensowenig ist von der geforderten Bürgerbeteiligung und Demokratisierung bei Genehmigungsverfahren übriggeblieben. Stattdessen handelte die SPD mit den Schwarzen einen „Tendenzbeschluß“ aus, nachdem in nächster Zeit ein Hearing zum Verfahrensverwaltungsgesetz durchgeführt werden soll, um dieses zu ändern. „Mehr an Bürgerbeteiligung war zu dem Zeitpunkt mit der CSU nicht zu machen“, gibt Kolo zu. Aber selbst Professor Kopp ist der Meinung, daß es nicht geschadet hätte, dieses Mehr an Bürgerbeteiligung auch in einem Abfallgesetz festzuschreiben.

„Die SPD fühlt sich als Speerspitze der Müllbewegung, dabei hat diese Speerspitze das Volksbegehren beinah abgewürgt“, schimpft der Günzburger Peter Waigel. Verstört sitzen die Sozis an ihrem Tisch seitlich vom Podium. Über ihnen die Fotografien des „Altmännervereins Burghausen“. Ein letztes Mal versuchen sie, das Ruder rumzureißen.

Zu spät. „Ich habe gerade die Nachricht bekommen, daß die unterfränkischen Delegierten sich für ein Volksbegehren ausgesprochen haben“, verkündet Vorstandsmitglied Horst Kroos stolz und aufgeregt. Der Saal jubelt. Mit überwältigender Mehrheit, nur sechzehn Delegierte sind dagegen, wird das Volksbegehren beschlossen. Das bereits gedruckte Werbematerial wird von den vor der Tür stehenden Lkws abgeladen und verteilt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen