: Handgriffe, Verrichtungen
■ Robert Altmans „Vincent und Theo“ - ein Film über die Brüder van Gogh
Nein, es sind nicht die Farben van Goghs. Robert Altman hat nicht versucht sie zu imitieren. Und doch hat er mehrere Kopisten während der Dreharbeiten fast ununterbrochen van Goghs malen lassen, ständig sind die Gemälde im Bild, ständig malt van Gogh, und man sieht ihm dabei zu. Der Herausforderung, den Künstler bei der Arbeit zu zeigen, hat Altman sich gestellt, aber der Versuchung, zu ergründen, wie der das macht, ist er trotzdem nicht erlegen.
Die Gemälde, die Interieurs, die Gewänder - das alles erscheint annähernd dokumentarisch und penibel rekonstruiert, und doch bleibt immer deutlich, daß inszeniert wurde. Dokumentartheater.
Am Anfang, noch in Belgien, zeichnet Vincent die schwangere Prostituierte Sien, seine zeitweilige Geliebte. Sie mag nicht mehr Modellsitzen, steht auf, raucht Zigarre, läuft in der Kammer herum, trinkt etwas, schaut aus dem Fenster, knöpft ihr Unterkleid auf, setzt sich auf den Topf und pißt, steht wieder auf, reckt sich. Van Gogh skizziert wie besessen. Nicht diese Besessenheit bringt Altman ins Bild, sondern Sien. Wortlos schaut er ihr bei ihren Verrichtungen zu. Beobachten wäre schon zuviel gesagt, er fixiert sie nicht. Kaum Großaufnahmen, meistens die Halbtotale. Es ist wirklich ein Zuschauen. Und man entdeckt ihre Schönheit, ihre Verruchtheit.
Als Sien bemerkt, daß Vincent sie malt, begehrt sie auf. Das sei etwas anderes, als wenn sie Modell sitze, das sei sie ja selbst. Van Goghs Skizzen von Sien sind das eine, Altmans Bilder von Sien das andere, „sie selbst“, das Original also, ist ein Drittes. Wir wissen nicht, wie sie ausgesehen hat. Und Altman rekonstruiert nicht nur vielleicht sah sie so aus - er kreiert vor allem ein neues Bild von ihr, eine Frau vor der Kamera.
Bei den Sonnenblumen ist es einfacher. Sie sehen heute so aus wie vor 100 Jahren. Altman zeigt die Felder in Südfrankreich, im stürmischen Mistral. Nicht van Goghs Farben bringt er auf die Leinwand, sondern die Farben der Provence. Die Kamera selbst scheint dem Mistral ausgesetzt, sie fährt hastig, wie im Zeitraffer, über das Feld, markiert selbst kräftige Striche, viel zu nervös, um auch nur bei einer der zerzausten Blüten in Ruhe zu verweilen. Altman zeigt das Original, so authentisch wie möglich. Seine Sicht. Van Goghs Sicht ist auf seinen Bildern zu sehen.
Altmans Stil: auf den ersten Blick behutsam. Selten kräftige Farben, meist sind sie sanft und verwaschen. Oft besteht der Bildhintergrund aus mehreren Farbflächen und -linien: die Wand, die Tür, der Pfosten, der Vorhang. Der Himmel, die Bäume, das Kornfeld. Nichts, was sich aufdrängt.
Auch gesprochen wird wenig. Die komplizierte Beziehung zwischen Vincent und seinem Bruder Theo, dem Kunsthändler, der ihn aushält im doppelten Wortsinn, ihn also finanziert und Vincents Wutausbrüche, seinen seltsamen Mystizismus und später seinen Wahnsinn erträgt, weil er ihn liebt, wird nicht als Psychodrama auf der Leinwand zelebriert. Auch nicht als Abhandlung über das Verhältnis von Kunst und Markt, von Künstler und Gesellschaft. Natürlich gibt es den Gegensatz der beiden Welten: Theo in seiner vornehmen Pariser Galerie, Vincent in seiner Bude. Klischees. Aber sie werden nur markiert, Altman geht es nicht um den Kontrast, sondern um das Gemeinsame. Als Theo von seiner ersten Geliebten Marie verlassen wird, weil er Syphilis hat, steht er vorm Spiegel und malt sich mit Maries Schminke das Gesicht bunt. Sein Bruder hat ständig Farbe im Gesicht, leckt die Pinsel sauber, nascht im Farbengeschäft mit allen zehn Fingern und trinkt das Gelb, obwohl sein Magen sich weigert. Theos Kummer, Vincents Manie - die Szenen korrespondieren, meist unmerklicher als eben beschrieben, wie von selbst: eine Liebesgeschichte. „Mußt du immer so extrem sein“, sagt Theo zu Vincent: Der erste Satz des Films. „Ich kann nicht mehr pinkeln“, sagt Theo nach Vincents Beerdigung, der erste Satz nach dem Tod des Bruders, der Beginn seiner eigenen tödlichen Krankheit.
Manchmal brüllen sie sich an, manchmal weint Theo, manchmal schreit Vincent oder schneidet Grimassen, zerstört Bilder, schneidet sich sein Ohrläppchen ab, schmiert sich Blut ins Gesicht. Aber nicht die Psychologie der Bruderbeziehung, nicht das Innenleben kehrt Altman nach außen, sondern das Äußerliche, das, was sich davon veräußert, setzt er in Szene. Vincent schneidet sich das Ohr ab - bei Altman ist es eine Verrichtung, ein Handgriff. Es tut weh, aber ein Drama ist es nicht.
Was einen erschüttert, ist das, was ausbleibt. Der Film beginnt mit den Fernsehbildern von Sotheby's Versteigerung der Sonnenblumen. Brutale Computermusik und sanfte Streicherklänge, im Hintergrund nennt der Auktionator die gebotenen Summen, von fünf Millionen bis 22,5 Millionen Pfund. Nur einmal, in diesem kurzen aktuellen Fernsehdokument, geht es um den Wert von van Goghs Bildern. Sonst nie. Nicht nur, daß keiner ein Bild kauft, es sagt auch keiner was über sie. Selbst Gauguin nicht, der van Gogh in der Provence besucht. Aber Vincents Wahn und Theos Verzweiflung entzünden sich nicht daran. Altman konstatiert nicht einmal hier einen Zusammenhang, er suggeriert ihn auch nicht indirekt. Er stellt es bloß nebeneinander.
Die Geschichte von Vincent und Theo wird nicht eigentlich erzählt, sie gehorcht keiner Logik des Geschehens. Altman hat keine Erklärung, er ergründet nicht. Er schaut, wie gesagt, nur zu. Darin ist er radikal.
Der Selbstmord. Vincent sitzt vor der Staffelei, beginnt zu malen, steht auf, geht mit der Pistole ins Kornfeld, schießt sich in die Hüfte. Eine Geste, als lege er sich die Hand an die Seite. Die Kamera bleibt auf das Feld gerichtet und darauf, wie van Gogh in ihm verschwindet. Sie folgt ihm nicht.
Christiane Peitz
Robert Altman: Vincent und Theo, mit Tim Roth und Paul Rhys, Kamera: Jean Lepine, Musik: Gabriel Yared, Euro-Coproduktion 1990, 139 Minuten.
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