: Musik im Zeitalter der Flugzeuge
■ Mit der französisch-marokkanischen Sängerin Sapho, die heute in München ein Konzert gibt, sprach Gabriele Mittag
taz: In Ihrem Film „Discours a la mer“ (Rede an das Meer) steht eine israelische Frau im Mittelpunkt, die durch ihre Liebe zu einem Palästinenser im wahrsten Sinne des Wortes zwischen die Fronten gerät. Da aufgrund der Schulschließungen in den besetzten Gebieten der totale Analphabetismus droht, hat diese Israelin eine provisorische Schule gegründet. Sie ist Mitglied der Hilfsorganisation ARA, die sich besonders für die palästinenischen Kinder einsetzt, und Sie haben Ihren Film gedreht, um diese Frau zu unterstützen. Wie entstand die Idee, sich am Kampf der Intifada mit einem Dokumentarfilm zu beteiligen?
Sapho: Also, man kann nicht sagen, daß ich eine engagierte Intifada-Kämpferin bin, das wäre übertrieben. Aber das Thema Israel-Palästina interessiert mich sehr und das aus gutem Grunde. Ich bin Jüdin und Marokkanerin, das heißt, ich bin im Grunde eine jüdische Araberin. Ich bin in Marokko geboren und aufgewachsen und dort von mehreren kulturellen Einflüssen geprägt worden. Da gab es die jüdische und die arabische Kultur und die westliche aufgrund des Einflusses Frankreichs. Ich habe in Marokko zu einem privilegierten Zeitpunkt gelebt, das heißt in der Zeit ziemlich großer Toleranz. Besonders in Marokko harmonisieren diese drei Gemeinschaften - die Christen, Moslems und die Juden miteinander, es gab keinerlei Probleme zwischen den Leuten. Wenn ich daran denke, werde ich richtig schwermütig. Deswegen macht es mich krank, was in Israel vor sich geht. Als Jüdin ertrage ich es nicht, auf der Seite derer zu sein, von denen Gewalt ausgeht.
Die jüdische und arabische Kultur - das ist doch eines. Das Alphabet ist fast das gleiche, es gibt sprachliche Verwandtschaften und jede Menge anderer Gemeinsamkeiten. Dieser Kampf ist total absurd. Jeder Krieg ist absurd.
Welches Verhältnis haben Sie denn zum Staat Israel?
Ich bin natürlich mit der Politik Israels nicht einverstanden. Auch in Israel gibt es Leute, die mit der Regierung nicht einer Meinung sind. Ich glaube, im Moment verändert sich da einiges, die Linke scheint an Einfluß zu gewinnen. Hoffen wir, daß diese Linke nicht zu sehr rechts ist.
In Frankreich und der Bundesrepublik sind Sie vor allem als Musikerin bekannt, einige kennen auch Ihre literarischen Arbeiten. Ist der Film jetzt Ihr neues Arbeitsfeld?
Also ich wollte eigentlich gar keinen Film drehen und schon gar nicht das Metier wechseln. An mich wandte sich eine Frau, die mich als Künstlerin darum bat, den palästinensischen Kindern zu helfen.
Ich wollte zeigen, daß es die Angst auf beiden Seiten, die Angst und Unkenntnis voreinander ist, die diesem Kriege überhaupt die Basis liefert, eine Angst, die natürlich von den politisch Verantwortlichen wachgehalten wird. Die Angst blockiert alles, die Angst ist der Nährboden des Rassismus. Ich weiß, daß es sehr naiv ist, das zu sagen, aber ich wollte einfach, daß sich beide Seiten kennenlernen und mehr voneinander wissen. Ich bin eben naiv. Ich mache das, wozu ich Lust habe. Auch wenn dieser Film ungeschickt ist oder künstlerisch uninteressant, das ist mir völlig egal. Was zählt, ist die Information und die Chance, daß diese Frau, die eine bemerkenswerte Arbeit leistet, Unterstützung erhält. Aber ich habe niemandem zu beweisen, daß ich eine gute Filmemacherin bin, das bin ich nicht und will es nicht werden.
Warum und wann haben Sie Marokko verlassen?
Ich bin nach Frankreich gekommen, weil meine Eltern nach Frankreich gegangen sind. Ich war damals 16 Jahre alt und in Marokko gab es für mich keine Möglichkeit zu studieren. Ich habe hier, ich weiß gar nicht mehr, ich glaube, Psychologie und Literatur studiert.
Wie haben Sie denn diesen Wechsel erlebt, von einem nordafrikanischen Land nach Frankreich zu gehen?
Das war ein echter Schock, aber einer, der mir Nutzen brachte. Ich fühlte mich als Exilierte, nicht erst ab diesem Zeitpunkt, auch früher schon hatte ich dieses Gefühl. Als Jüdin lebt man immer im Exil. Dieses Exilgefühl kommt vor allem dadurch zustande, daß es kein Land gibt, das so etwas wie eine nationale Identität stiften könnte. Sich in dieser Exilsituation zu befinden, finde ich sehr interessant, denn sie ermöglicht einen bestimmten, einen anderen Blick auf Menschen und Dinge. Wenn man einen Fixpunkt außerhalb der Sphäre hat, in der man lebt, ist man offener für vieles. Dieses Leben im Exil hat mich sehr bereichert, denn ich war gezwungen, mir über alles Gedanken zu machen.
Haben Sie sich in Frankreich entschlossen, Musikerin zu werden?
Mein Leben ist sehr kompliziert, denn eigentlich fängt der Weg, der zur Musik führte, ganz woanders an. Ich habe immer sehr viel geschrieben, schon in Marokko. Eines Tages wendete ich mich in Frankreich an die Redaktion einer Kindersendung eines Radiosenders, ich wollte eines meiner Gedichte vorlesen. Und weil ich mich dann doch nicht getraut habe, rezitierte ich stattdessen ein Gedicht von La Fontaine und man engagierte mich als Schauspielerin. Das Schauspielen fiel mir nicht schwer, aber eigentlich wollte ich ja schreiben, ich hatte aber nicht recht den Mut dazu. Nach Victor Hugo zu schreiben...
Victor Hugo und die vielen anderen, das ist einfach einschüchternd. Jedenfalls langweilte ich mich am Theater zu Tode, vor allem, weil die meisten Frauenrollen von Männern gedacht, geschrieben, inszeniert werden. Das konnte ich nicht aushalten. Aufgrund einer Wette, die ich mit einer Freundin einging, war ich bei einem französischen Gesangskonservatorium gelandet. Bei der Aufnahmeprüfung stellte ich mich als Kanadierin vor und habe mich dabei wunderbar amüsiert. Und dann entdeckte ich: Musik wäre eigentlich das Beste, Autorin, Regisseurin und Musikerin in einem zu sein, das interessierte mich. Ich wollte keine Balladen singen, das war ja nun wirklich das größte Klischee. Ich entschied mich für den Rock'n'Roll. Das war in den siebziger Jahren, also zu einem Zeitpunkt, als absolut niemand daran dachte, diese Art Musik zu machen und die Frauen schon gar nicht. Man bezeichnete mich als hysterische Frau. Ich bin dann ein Jahr nach New York gegangen, und als ich zurückkam, das war die Hölle. Es war die Zeit des Post -Punk, und mir standen im wahrsten Sinne des Wortes die Haare zu Berge. Die Leute guckten mich an, als sei ich eine Furie (lacht heftig). Mit der Rockmusik war ich übrigens nicht sehr zufrieden, weil ich nichts selbst erfand.
Nachdem ich also gemerkt hatte, daß der Rock nicht das Richtige war, bemerkte ich, daß man im Exil seine „ursprüngliche“ Kultur vergißt, sie kommt einem regelrecht abhanden. Man ist gezwungen, sich an die Gesellschaft anzupassen, sich zu assimilieren. Ich hatte die gesamte marokkanische Kultur verdrängt. Und eines Tages war ich auf einem Festival orientalischer Musik und fing an zu heulen. Ich dachte, ich sei verrückt. Meine Trauer darüber, daß ich diese Musik „vergessen“, aus meinem Leben gedrängt hatte, war sehr groß. Ich sagte mir, ich bin wirklich eine Idiotin. Diese Musik ist von solch einem Reichtum, und ich, ich stelle nichts damit an. Ich fing also an, Rock und orientalische Musik miteinander zu verbinden. Das war 1980, zu einem Zeitpunkt, als niemand an so etwas dachte. Ein Abenteuer. Es war sehr schwierig, Musiker zu finden. Niemand hatte Vertrauen in eine Autodidaktin, eine Analphabetin der Musik. Aber nach und nach hat sich das Mißtrauen gelegt, und jetzt arbeite ich mit einer wunderbaren Truppe zusammen.
Besteht Ihr musikalisches Engagement vor allem darin, verschiedene Musikkulturen zu vermischen?
Wir leben im Zeitalter der Flugzeuge. Die Welt ist klein, ganz klein geworden. Die Zukunft der Welt, sie liegt meiner Meinung in der Vermischung der Kulturen. Das heißt nicht, daß man sich nicht mehr an seine eigene Herkunft erinnert, seine Identität verliert. Aber ich glaube, daß man sich selbst und sein Leben nur bereichern kann, wenn man sich den anderen nähert. Insofern spiegelt die Musik, die ich mache, diesen Prozeß der Annäherung und Vermischung wieder. Wenn man sich mit Musikgeschichte beschäftigt, stellt man fest, daß ganz unterschiedliche Musikrichtungen oftmals die gleichen Wurzeln haben. Man denke nur an den mediterranen Raum und die nordafrikanischen Länder mit ihrer orientalischen Musik. Es gibt da jede Menge Wechselwirkungen und Beeinflussungen, am deutlichsten wird das in bestimmten Ausformungen der spanischen Musik. Es ist ja kein Zufall, daß man irgendwo hinkommt, zum Beispiel nach Griechenland und einem die Musik nicht „fremd“ ist. Ich brauche zum Leben diese drei Elemente - Schwarzafrika, das orientalische Nordarfika und Europa. Wenn eines von den dreien fehlt, fühle ich mich so, als hätte man mir einen Arm amputiert.
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