Roulette als Konjunkturbarometer

Spielbranche stagniert / Nach diversen Skandalen werden neue Märkte gesucht auf Kosten der alten Exklusivität  ■  Von Bernd Müllender

Aachen (taz) - Nichts gegen Frauen. Im Gegenteil, beim Black Jack etwa, erläutert ein Mitarbeiter des eleganten Aachener Spielcasinos, hätten sich „die weiblichen Handgelenke beim Mischen“ den männlichen als überlegen erwiesen. Aber beim Roulette, der Königin der edlen Spiele, jetzt auch Frauen als Croupiers einzusetzen, da gibt es im Männerbund der vornehmen Zockergilde doch noch Vorbehalte.

Dennoch bitten in Aachen jetzt drei Damen zum Einsatz mit der kurvenden Kugel - zum American Roulette, einer etwas vereinfachten Version der 350 Jahre alten französischen Spiele-Spielart. Hier wird schneller gespielt, es ist verwechslungssicherer, weil die SpielerInnen ausschließlich selbst ihre Spezialjetons plazieren, es ist volkstümlicher, weil Deutsch statt Französich gesprochen wird und weil die Einsätze hemdsärmelig per Hand und nicht mehr per Roulette -Rechen hin- und hinfortgeschoben werden. Auch das gereicht nicht zur höchsten Plaisir der Angestellten: „Diese amerikanische Lässigkeit“, moserte einer am Eröffnungstag vergangene Woche, jetzt fehle nur noch, daß „Spieler in Jeans und Hemd hier reinkommen.“

Mit neuen Spielen werden fernab der alten exklusiven Klientel neue Kunden gesucht, neue Märkte, und somit neue Umsatzquellen einer Branche, deren Überschüsse (vor allem Kosten, Steuern und den 80prozentigen Abgaben an die Kommunen und an Sozialfonds) im Roulette - siehe auch Interview- stets genau 2,37 Prozent vom Gesamtumsatz betragen. Für neue Zielgruppen wurden vielerorts in den letzten Jahren „einarmige Banditen“ aufgestellt. Sie sorgten dafür, daß in den Bilanzen 1989 wenigstens durch die neuen Umsatz-Bereiche höhere Überschüsse erwirtschaftet wurden. Allein in den drei Spielcasinos in Nordrhein-Westfalen blieben 170 Millionen DM Bruttospielertrag bei insgesamt stagnierendem Zuspruch, in allen 33 Glückstempeln der Republik ist die Milliardengrenze überschritten. Die Faszination des klassischen Roulette aber hat nachgelassen.

Das liegt auch daran, daß das gediegene Edelmurmeln in Verdacht geraten ist. Das Spiel, von Novalis einst als „Experiment mit dem Zufall“ definiert, soll Millionengewinne garantieren. Immer schon versuchten die Menschen durch Systemspiele und Wahrscheinlichkeitssetzen („Die 17 ist schon lange nicht mehr gekommen“) den unbestechlichen Gesetzen der Statistik eins auszuwischen. Einfacher geht es beim Sicherheitsrisiko Mensch. Bestochene Croupiers in Untersuchungshaft, die mit Systemspielern und Zockermafiosi gemeinsame Sache gemacht haben, zeugen von entsprechenden Versuchen. Elektronische Überwachung und Versuche zur technischen Perfektion konnten nicht verhindern, daß es was Menschenhand schafft, ist auch von Menschenhand überlistbar (alte Schränkerweisheit) - Manipulationen an Spielkesseln gegeben hat, daß auch schon mal per Laserkanone der Kugeln Lauf dirigiert wurd. Gegen fünf Croupiers aus Bad Neuenahr ist Mitte April Anklage erhoben worden: „Bildung einer Kriminellen Vereinigung“ zum Zwecke des Betrugs und der Untreue.

Den Glücksmanagern fällt es schwer, die alte betuchte Klientel zurückzuholen, wenn die nicht will. Roulette ist nämlich, wie Branchenkenner beobachten, in ganz erstaunlicher Weise konjunkturabhängig - und zwar antizyklisch. Setzt die Wirtschaft auf Boom, wird investiert und für Ersatzumsätze mit (oft schwarzem) Geld in die Zahlenbranche von Null bis 36 bleibt wenig übrig. Sind Investoren zurückhaltend im nüchternen Geschäftsleben, setzen sie öfter mal, auch mit größeren Summen, aufs Rouletteglück. Derzeit sind die Wirtschaftsaussichten formidabel, folglich herrscht an den Spieltischen 1990 besondere Flaute. Vielleicht sollten sich die Fünf Waisen aus ihren Elfenbeimtürmen mal zur Elfenbeinkugel bewegen, und aus den Umsatzzahlen ihre Prognosen herausfiltern.

Die DDR, neben Rumänien, der prinzipientreuen Schweiz und Albanien die einzige zockerfreie Zone in Europa, verhindert derzeit also durch die in sie gesetzten wirtschaftlichen Hoffnungen einen Spielboom hierzulande. Selbst ist sie indes begehrtes Standortobjekt. Im Aachener Casino waren jetzt zwei Herren aus Dresdens Hotel „Bellevue“ zu Gast. Direktor von Puttkamer jedenfalls wollte nicht ausschließen, daß es, bald schon, in Dresden zum ersten Mal heißen wird: „Faitez vos jeux, MM. et Mmes Saxons.“