SCHLAGWERK VERLOREN

■ „Stakkato“ im Kaufhaus Kato

Kann es richtig sein, fast pünktlich auf den Tag jedes Jahr das gleiche Ritual zu vollziehen? Wie kann man der eingesessenen Bevölkerung des Kiezes noch vermitteln, was nicht einmal mehr als spontaner Ausdruck sozialer Benachteiligung gewertet werden kann, aber sich selbst als improvisiert versteht? Seit Jahren finden Anfang Mai im tiefsten SO36, Im Kaufhaus Kato, die „Stakkato„-Konzerte statt, eine Auseinandersetzung mit improvisierter Musik, oder besser, mit Aufruhr, Chaos, Lärm und Blechschaden. Man sollte lieber zu Hause bleiben.

Ein Häuflein Unbelehrbarer durfte am Samstag abend erleben, wie Alan Tomlinson allein die Posaune zur unscheinbaren Waffe umfunktioniert. Als Solofighter hat er einen schmuddelig-grauen Seesack dabei, aus dem sich allerlei Utensilien auf den Bühnenboden ergießen. Ein kleines trichterbewehrtes Blasrohr wird dem Instrument aufgepflanzt und ragt aus einem Rohr, bereit zur Attacke. Dann noch schnell die Oldtimer-Autohupe hervorgekramt und ein paar Schläuche griffbereit plaziert.

Als alle auf den Angriff warten, beginnt Tomlinson fast zärtlich zu blasen, haucht in die Posaune, flüstert Worte in Babysprache, klopft vorsichtig auf den Boden oder trommelt mit den Fingernägeln aufs Blech. Der Holzboden des Bühnenpodestes wird zum voluminösen Resonanzkörper. Alan Tomlinson ist ein Meister des stillen Widerstands, er braucht keine großen Worte, seine Posaune ist ein gedämpftes Megaphon, aus dem Buchstaben tropfen. Kaum bemerkt man, wie er von der Bühne verschwindet.

Zeit, die beiden schwarz glänzenden Flügel in die Mitte zu schieben für ein Pianoduo von Aki Takase und Alexander von Schlippenbach. Beide schreiten nervös durch den Saal, wahren Distanz zueinander. Das Publikum erwartet einen Kampf zwischen zwei exponierten Vertretern des freien Spiels. Schlippenbach gilt allein wegen seiner über zwanzigjährigen Mitarbeit beim Globe Unity Orchestra als „der“ Berliner Free -Jazzer schlechthin. Und auch seine Kollegin Aki Takase ist nicht gerade dafür bekannt, sich zurückzuhalten. Beste Grundvoraussetzungen für ein Schlachtduo zweier Klavierorkane.

Aber weit gefehlt. Beide spielen harmonisch zusammen, lassen dem anderen viel Raum für kleine Abschweifungen, einigen sich schnell wieder auf ein verbindendes Thema. Die Saiten müßten schon mit Keksdosen präpariert werden, um ein bißchen schriller zu klingen.

Das dritte Konzert des Abends will danach nicht mehr so recht überzeugen. Der Schlagzeuger der Band „Tommies and Krauts“ ist mit dem Auto liegengeblieben. Deshalb spielen nur die drei Musiker, die mit der Bahn angereist sind. Neben John Butcher an den Saxophonen und Christoph Winkel, Baß, ist auch Alan Tomlinson wieder dabei. Ihr Spiel wirkt ein wenig zerfasert, sie kommen nicht zu einem Gruppensound, wahrscheinlich, weil ihnen das rhythmisierende Schlagwerk als Verbindung fehlt. Ihre Soli klingen schön, aber zahnlos. Vielleicht fehlt ihnen der gemeinsame Feind, gegen den sie anspielen können. Ein fast gewaltfreier erster Abend des diesjährigen Mai-Stakkato.

Andreas Becker